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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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die Überlebenden in ihrem Kummer. Doch bei ihrer Rückkehr in die Zivilisation stellten sie fest, dass ihre Gefühle im großen Ausmaß geteilt wurden. Wie Cherry-Garrard beschrieb, landeten sie, »um das Empire – fast die ganze zivilisierte Welt – in Trauer anzutreffen«. Die Nachricht, die die Männer der Terra Nova telegraphisch übermittelten, wurde Anfang Februar 1913 in Großbritannien bekannt. Nach Amundsens Sieg hatte das Interesse an Antarktika nachgelassen, und andere Themen, wie die Militanz der Suffragetten, Bergarbeiterstreiks und Spannungen in Ulster, hatten die Schlagzeilen beherrscht. Jetzt aber überboten sich die Zeitungen an emotionalen und patriotischen Ergüssen. Die Times erklärte am 11. Februar: »Nach dem Eintreffen der Nachricht gaben die Menschen eine Zeitlang trotz allem die Hoffnung nicht auf und fragten sich, ob die Mitteilung nicht falsch verstanden worden war, denn zunächst waren Nachrichten über die Arktis und die Antarktis fast immer von Gerüchten umrankt gewesen.« 2 Sie erinnerte auch an Tennysons Vers über den Tod von Sir John Franklin, der auf der Suche nach der Nordwestpassage umkam; Tennyson hatte darin ein Wort verwechselt und »Süden« statt »Norden« geschrieben.
    Schlagzeilen wie »Wie Kapitän Scott starb«, »Acht Tage des Verhungerns«, »Sein letzter Appell an England«, »Huldigung an Helden« und »Ein Oates kapituliert nicht« hielten die Öffentlichkeit in ihrem Bann. Scott war zur nationalen Ikone geworden. Im Beileidsschreiben des Königs spiegelt sich die allgemeine Stimmung wider, in der von »dieser schockierenden Katastrophe« die Rede ist, »die das englische Volk und die ganze Welt der Wissenschaft beklagen«. Nur zehn Monate zuvor hatte die Nation über den Untergang der Titanic getrauert. Jetzt hieß es in einem Leitartikel: »Kapitän Scott kam unter schrecklicheren Umständen um als die Titanic.« Die St. Paul’s Cathedral war am 14. Februar voller emotional aufgewühlter Menschen, die zu einem Gedenkgottesdienst gekommen waren, den auch der König besuchte, während Tausende sich draußen vor der Kirche drängten. Am Mittag desselben Tages wurde den 75 0 000 Kindern der Schulen des Londoner County Council von ihren Lehrern die Geschichte von Scotts Tod erzählt. Sie entfachte die Phantasie der jungen Leute – so nannten etwa die Mitford-Schwestern ihre eiskalte Toilette »The Beardmore«. Am 20. Februar hatte Madame Tussaud ihr Wachsfigurenkabinett um eine lebensgroße Figur von Kapitän Scott bereichert.
    Beileidsbekundungen von Staatsoberhäuptern und Vertretern der Welt der Wissenschaften trafen in Massen und von überall her ein. Auch der Präsident der Vereinigten Staaten, Taft, schickte ein Kondolenzschreiben, und die Times berichtete, der Kaiser habe »eine Botschaft« gesandt, »die tiefes Mitgefühl mit der [britischen] Nation und aufrichtige Bewunderung für die Helden von Kapitän Scotts Expedition zum Ausdruck brachte«. Filchner und die Deutsche Geographische Gesellschaft in Berlin bekundeten ebenfalls ihre Anteilnahme.
    Während die Nachricht in Großbritannien bekannt wurde, erinnerte ein Journalist des Evening Standard seine Leser daran, dass es »jemanden gab, der noch immer nichts von der entsetzlichen Tragödie wusste: diese Frau ohne Fortüne, unterwegs auf hoher See, strahlend vor Hoffnung und Erwartung und darauf brennend, ihren Mann zu treffen und den Triumph seiner Rückkehr mit ihm zu teilen«. Kathleen, der es nicht gefallen hätte, sich so dargestellt zu sehen, war im Januar abgefahren. Nachdem sie in Mexiko mit Cowboys auf einer Ranch »herumvagabundiert« war, an einem Lagerfeuer aus Zedernholzscheiten geschlafen und während der rasenden Fahrt durch die mexikanischen Prärien auf Lokomotiven gesessen hatte, hatte sie in San Francisco die RMS Aorangi bestiegen. Am 19. Februar, als das Schiff irgendwo zwischen Tahiti und Raratonga dampfte, überreichte ihr ein nervöser Kapitän eine über Funk gemeldete Botschaft: »Kapitän Scott und sechs [sic] andere in einem Blizzard umgekommen, nachdem sie den Südpol erreicht hatten.« Eine fassungslose Kathleen dankte ihm höflich und ging zu ihrer Spanischstunde, zum Mittagessen und las dann in einem Buch über die Titanic . Doch hinter ihrer für sie so typischen Zurschaustellung von Stärke verbarg sich tiefe Qual. Sie schrieb, sie hätte sich, wenn sie »fest an ein Leben nach dem Tode« geglaubt hätte, über Bord geworfen. Doch da sie das nicht tat, sah sie ihre

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