In den eisigen Tod
Nordpol erreicht zu haben, alles über den Haufen: »Genauso schnell, wie sich die Nachricht über die Kabel verbreitete, beschloss ich, die Richtung zu ändern – in die entgegengesetzte Richtung zu fahren und den Süden in Angriff zu nehmen.« 7 Amundsen sagte weder seinen Geldgebern, nicht einmal Nansen, noch den meisten seiner mitreisenden Forscher etwas davon, bevor sie bereits auf hoher See waren und es für eine Meinungsänderung zu spät war. Vor seiner Abreise hatte er tatsächlich an Bord oder an Land nur sechs Leute über seine wahren Absichten unterrichtet. Später versuchte er, seine Geheimniskrämerei damit zu rechtfertigen, dass seine Pläne im Keim erstickt worden wären.
Zu seiner eigenen Verteidigung schrieb er: »Ich wusste, dass ich Kapitän Scott über die Erweiterung meiner Pläne würde informieren können, bevor er die zivilisierte Welt verließ, und daher konnten ein paar Monate ... keine große Rolle spielen.« Er behauptete auch, dass Scotts Reise hauptsächlich die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Ziel habe und der Pol »nur eine Nebensache« sei. Außerdem, so argumentierte er, sei es kaum wahrscheinlich, dass ein Mann, der wie Scott »große Kenntnisse in der Antarktisforschung« besitze, seine Pläne änderte. 8 Doch in Wahrheit war Amundsen ein gnadenlos ehrgeiziger Mann. Er war auch ein »professioneller« Forschungsreisender, und zwar in einer Weise, wie Scott es mit seiner Truppe begabter Amateure, die so durch und durch im Einklang mit der britischen Tradition stand, nicht war. Amundsen hatte sich Forschungsreisen zum Beruf gemacht, sich die ersten Sporen auf der Gerlache-Expedition verdient und solche wissenschaftlichen Themen wie den Erdmagnetismus weniger aus irgendeinem akademischen Interesse heraus studiert, sondern weil er glaubte, damit Sponsoren anlocken zu können. Wie geschmacklos eine solche Einstellung auch gewirkt haben mag – Amundsens konzentrierte Professionalität sollte sich später für ihn auszahlen.
Scott wusste nicht genau, wie er auf die Nachricht reagieren sollte. Amundsen hätte in bezug auf seine Absichten kaum zugeknöpfter sein können. Es war nicht klar, wo er an Land gehen oder was sein letztliches Ziel sein würde, während Scott mit seinen eigenen Plänen an die Öffentlichkeit gegangen war und auch bekanntgegeben hatte, dass er beabsichtigte, um den 22. Dezember 1911 herum den Pol zu erreichen. Welchen Gebrauch würde der geheimnistuerische, um nicht zu sagen betrügerische Norweger, wie Scott ihn gesehen haben muss, von dieser Information machen? Es war ein beunruhigender Gedanke.
Besorgt, wie er über die norwegische Bedrohung gewesen sein musste, sah Scott sich gezwungen, zu »einer weiteren Betteltour« aufzubrechen. Die australische Regierung hatte lediglich 2500 Pfund herausgerückt, die Hälfte des Betrages, den Shackleton erhalten hatte, und dies auch nur, nachdem inzwischen noch eine japanische Expedition am Horizont aufgetaucht war. Vor seiner Abreise aus Australien sprach Scott mit der Presse offen über die Chancen seiner Expedition: »Vielleicht kommen wir durch, vielleicht nicht. Wir werden vielleicht Unfälle mit einigen unserer Transportmittel, mit den Schlitten oder den Tieren, haben. Wir verlieren vielleicht unser Leben. Wir werden vielleicht ausgelöscht. Es ist alles eine Frage, über die die Vorsehung und das Glück entscheiden.« 9 Dieser Fatalismus war sowohl Teil seiner Natur als auch Folge seiner Erfahrungen auf der Discovery . Da er die Unwägbarkeiten von Polarreisen kannte, tröstete er sich wohl damit, dass Amundsens Unternehmen im gleichen Maße vom Glück abhing. Nachdem Scott vor begeisterten Zuhörern Vorträge gehalten hatte, fuhren er und Kathleen mit einem Passagierschiff nach Wellington in Neuseeland, wo er die angenehme Nachricht erhielt, dass ein reicher Bürger von Sydney sich bereit erklärt hatte, 2500 Pfund beizusteuern. Reporter drängten ihn zu einer Antwort auf Amundsens Herausforderung. Mit Würde erwiderte Scott, dass sich dadurch nichts an seinen Plänen ändere. Er würde versuchen, den Pol zu erreichen, aber nicht auf Kosten der wissenschaftlichen Ziele der Expedition. In einem Brief an einen Freund reagierte auch der nüchterne Oates auf eine für ihn typische Weise: »Dass die verdammten Norskies nach Süden herunterkommen, ist ein schöner Schlag. Ich hoffe bloß, dass sie nicht die ersten sein werden. Sonst schauen wir ziemlich dumm aus. Es heißt, Amundsens Art, an die Sache
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