In den eisigen Tod
Stress, die künftigen Reisen zu planen, seine Verantwortung für die Sicherheit aller, seine Angst, dass Amundsen ihm den Preis vor der Nase wegschnappen würde – all das hatte nicht gerade dazu beigetragen, dass er sein gewöhnlich aufbrausendes Wesen und seine scharfe Zunge im Zaum hielt. Bemerkenswert ist, dass Scotts Beziehung zu den meisten seiner Leute dennoch so gut war.
Teddy Evans, Day, Lashly und Hooper brachen am 24. Oktober mit den beiden Motorschlitten zu ihrer Pionierreise auf, wobei jeder drei beladene Schlitten zog mit der Anweisung, über das Corner Camp zum One-Ton-Depot und dann nach Süden zu fahren. Scott sah sie mit sorgenvollem Blick in Richtung Ross-Schelfeis abreisen. Wenn die Motoren funktionierten, würden sie die Reise zum Fuße des gewaltigen Beardmore-Gletschers sehr erleichtern.
Am Vorabend seiner eigenen Abreise schrieb Scott an Kathleen und beruhigte sie mit Hinblick auf seine Einstellung zu Amundsen:
»Ich weiß nicht, wie ich Amundsens Chancen einschätzen soll. Wenn er zum Pol gelangt, muss er vor uns da sein, da er mit Hunden schnell vorankommen und mit einiger Sicherheit früh starten wird. Deshalb habe ich zu einem sehr frühen Zeitpunkt beschlossen, genauso zu handeln, wie ich es getan hätte, wenn es ihn nicht gäbe. Jeder Versuch eines Wettlaufs hätte meinen Plan zunichte machen müssen; außerdem ist es wohl nicht gerade das, worauf man erpicht ist. Du kannst Dich darauf verlassen, dass ich nichts Dummes tue oder sage; nur befürchte ich, dass Du darauf gefasst sein musst, unser Unternehmen sehr abgewertet zu sehen. Letzten Endes ist es die Arbeit, die zählt, nicht der Beifall, der folgt.« 8
Amundsen war tatsächlich am 15. Oktober mit vier Kameraden aufgebrochen und befand sich inzwischen schon jenseits des 80. Breitengrads. Einen früheren Versuch mit sieben Begleitern hatte er im September aufgeben müssen und war wegen der extremen Kälte nach sieben Tagen zurückgekehrt. Ein hässlicher Streit war ausgebrochen, bei dem einer seiner ältesten Leute, Nansens ehemaliger Begleiter auf einer Arktisreise, Johansen, Amundsen vor den anderen Männern kritisierte, weil er bei einem Wettlauf, zu ihrer Hütte zurückzukehren, ihn und einen unter Erfrierungen leidenden Kollegen auf dem Eis im Stich gelassen hatte. Dafür warf Amundsen Johansen gnadenlos aus der Pol-Gruppe, als diese sich erneut auf den Weg machte.
Scotts Abschiedsbrief an seine »liebe Mutter« war sehr liebevoll; er beruhigte sie, dass er niemals gesünder gewesen sei, dass seine »kleine Kavalkade« für die lange Reise nach Süden bereit sei und dass er bald wieder zurückkehren würde. Er gab zu, dass »es am Ende ein schwieriges Stück« geben werde, brachte aber seine Zuversicht zum Ausdruck, dass er und seine Gefährten es überstehen würden. 9 Scott schrieb auch an Edgar Evans’ Frau, sprach von dem Unteroffizier als von »einem so alten Freund von mir« und lobte den Beitrag, den dieser zur Expedition leistete. 10 An Birdie Bowers’ Mutter schrieb er ein glühendes Lob über Birdies Energie, Taktgefühl und Beliebtheit und schloss mit der rührenden Bemerkung: »Er hat so eine glückliche Veranlagung, mit lächelndem Gesicht Schwierigkeiten durchzustehen, dass ich keinen Zweifel habe, dass Sie ihn bei blühender körperlicher und geistiger Gesundheit wiedersehen werden.« 11
Am 1. November 1911 brachen Scott und seine Gruppe endlich auf. In der Eile wurde Königin Alexandras Union-Jack-Fahne für den Pol vergessen, aber Scott gelang es, von Hut Point nach Cape Evans zu telefonieren. Meares hatte zwischen den beiden Orten ein mit Aluminium ummanteltes Telefonkabel verlegt – etwas, was Scott in diesem jungfräulichen Land wunderbar fand. Witzigerweise war es der Norweger Gran, der mit seinen Skiern rasch hinter der Gruppe herfuhr und die Fahne auf der ersten Etappe mit sich trug. »Die Ironie des Schicksals, mein lieber Gran«, war Scotts Reaktion. 12 Ponting folgte der Gruppe hinaus bis zum Safety Camp, und sein Kinematograph hielt die Szene fest, wie kleine Gestalten auf ein unbekanntes Schicksal zustapfen. Scott war fatalistisch gestimmt. Er hatte geschrieben: »Ich bin über die Mutlosigkeit hinaus. Die Dinge müssen ihren Lauf nehmen ... Alles in allem werde ich froh sein, wegzukommen und unser Glück versuchen ... Die Zukunft liegt in den Händen der Götter; meiner Meinung nach ist nichts unversucht gelassen worden, um einen Erfolg zu verdienen.«
Doch wie er schon oft beobachtet
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