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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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zu sehen, aber er war auch kein freier Junge, der spielen und schreien und lesen konnte, wie er wollte. Tomás war vielmehr den Launen der hübschen, aber zornigen Frau ausgeliefert, die diesen Haushalt führte. Und jetzt musste Tomás etwas tun, wovon Brandon sich im Traum nicht hätte vorstellen können, dass es ein Junge seines Alters würde tun müssen: Er servierte allen das Abendessen.
    Was von Scotts Zorn noch übrig war, verrauchte auf der nachmittäglichen Fahrt von South Whittier zur Küste, und als er um die letzte Ecke in den Paseo Linda Bonita einbog, wurde ihm klar, dass Maureen alles Recht der Welt hatte, ihn zu hassen. Er hatte sich am Abend ihres Streits schlecht benommen und hatte seine Schuld noch verschlimmert, indem er seinen Posten als Herr des Hauses für zweiundsiebzig Stunden verlassen hatte. Die Gesichter und Stimmen seiner Familie nicht unmittelbar um sich zu haben hatte ihm seine eigenen Mängel deutlich vor Augen geführt, auch wenn er nicht gleich den Mut gehabt hatte, um den Folgen seiner Taten ins Auge zu sehen. Er parkte den Wagen in der Einfahrt, weil er die Garage nicht öffnen, seine Ankunft nicht durch Motorengeräusch und Türenschlagen ankündigen wollte. Stattdessen schlich er sich leise durch die Haustür ins Wohnzimmer und glaubte, das Überraschungselement werde sich beim Wiedersehen mit seiner Frau günstig für ihn auswirken. Er lauschte auf Geräusche, die ihm verrieten, wo Maureen und die Kinder sich aufhielten, aber er hörte nichts.
    Er schaute in die Küche, wo Spüle und Marmorflächen in stiller Ruhe glänzten: Der Edelstahl war knochentrocken; sein innerer Detektiv erwachte und sagte ihm, die Armaturen seien seit mehreren Stunden nicht benutzt worden. Jetzt fiel ihm auch auf, wie stickig es war: Die Klimaanlage war ausgeschaltet. Nach dieser Erkenntnis bewegte er sich zielstrebiger durchs Haus. Als er die Garagentür öffnete, war er nicht überrascht, dass Maureens Wagen weg war – es war nur die letzte Bestätigung, dass kein Mitglied seiner Familie anwesend war, weil die Kinder bei der Mutter sein mussten. Es sei denn …
    »Araceli!«, rief er von der Küche aus. »Araceli!«, rief er noch einmal im Wohnzimmer. Schließlich öffnete er die Schiebetüren und ging auf den neuen Wüstengarten zu, schaute durch die fremdartigen Formen des Ocotillo hindurch in die entfernten Winkel der Anlage, wo kleinere Sukkulenten zwischen sandigen Pfaden standen. Er wandte sich von den Kakteen ab und kehrte in die Küche zurück, um von dort seine Frau anzurufen, doch deren Handy schaltete sofort auf die Mailbox. Als Nächstes ging er zum Gästehaus und hämmerte dreimal mit der Faust an die Tür. »Araceli«, rief er wieder und lauschte dann auf Bewegungen dort drinnen, hörte aber nur das ferne Brummen eines Laubbläsers und einige Hammerschläge, die von einem anderen Grundstück in der Siedlung herüberklangen. »Araceli!« Dass auch seine mexikanische Bedienstete mitten in der Woche nicht da war, beunruhigte ihn mehr als die Abwesenheit seiner Familie: Diese dramatische Abweichung vom Gewohnten deutete auf eine Art Krise, auf eine geplante Flucht hin, so als wäre ein Tsunami, ein Erdrutsch, ein Buschfeuer angekündigt worden. Wie benebelt ging er noch einmal durch sein Haus und suchte nach einem Hinweis auf den Verbleib seiner Familie. Im Badezimmer fand er einen mit Seife gezeichneten Drachen auf dem Spiegel. Das ist eigenartig. Das sah nach Langeweile aus, so wie die Kratzbilder eines Schiffbrüchigen, der in seiner Höhle auf Rettung gewartet hatte. Im Zimmer der Jungen waren die Betten gemacht, es lagen keine Spielsachen auf dem Fußboden, und auch diese Aufgeräumtheit kam ihm unnatürlich vor. Er öffnete die Schranktüren und bemerkte eine auffällige Leerstelle im obersten Fach. Nach einigem Grübeln fiel ihm ein, dass dort sonst die Koffer der Jungen lagen.
    Sie sind weg.
    Sie sind abgehauen.
    In der leeren Stille spürte er die Wut seiner Frau am Werk. Konnte das nach zwölf Jahren der lang gefürchtete endgültige Bruch sein, das Ende ihres Familienprojekts? Das passiert, wenn du deine Frau schlägst. Natürlich verlässt sie dich dann. Eine öde, stumpfe und einsame Zukunft stand ihm bevor, und die Stille und Leere dieses familienlosen Augenblicks dehnte sich zu einem Leben in einer sparsam möblierten und mit Teppichboden ausgelegten Junggesellenwohnung. Was ist ein Vater ohne Familie? Trauriger Empfänger von Verachtung oder Mitleid. Er würde

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