In den Häusern der Barbaren
zurückgeworfen werden in die ziellosen, leidenschaftslosen Tage seiner Jugend, als die Algorithmen und Computerprogramme noch seine einzige Nachkommenschaft gewesen waren. Wie im Traum verließ er das Haus und folgte unbewusst den Wegen, die seine Söhne und Araceli einige Stunden zuvor gegangen waren: durch die Haustür, auf die Straße, den Hügel hinunter zum Eingangstor, begleitet vom gleichen Hundealarm. Er zog die Blicke des mexikanischen Gärtnerteams auf sich, das Araceli vorhin nicht bemerkt hatte: Sein abwesender Blick sprach vom Kummer eines reichen Mannes. Seht ihr, auch so ein großes Haus in einer makellosen Umgebung garantiert einem kein Glück. Am Tor sah ihn die schwangere Pförtnerin näher kommen und fragte: »Sir, kann ich Ihnen irgendwie …?« Aber er war schon an ihr vorbei, ging auf die Bushaltestelle zu und dann weiter auf die Wiese dahinter, folgte einem Trampelpfad hinunter zum Pazifik.
Uns Kalifornier zieht es zum Meer. Ich werde am Strand einschlafen, und die Flut wird mich mitnehmen und westwärts tragen, so wie diese mexikanischen Fischer, die ihre Dörfer verlassen, um Haie zu angeln, und Wochen später mit Sonnenbrand und gesprungenen Lippen auf einer Südseeinsel landen.
Nachdem sie gegessen hatten, setzten sich die vier Jungen und das Mädchen auf die Verandastufen, Araceli und Isabel blieben im Wohnzimmer zurück. Araceli achtete darauf, dass sie mindestens alle dreißig Sekunden nach Brandon und Keenan sah, während Isabel in großer Ausführlichkeit von ihrer Liebesgeschichte, den Schwangerschaften und der endgültigen Trennung vom Mann mit den flackernden Augen berichtete. Isabel hatte die innere Tür geöffnet, um ein wenig Abendluft hereinzulassen, nachdem die Sonne den ganzen Tag auf ihr kleines Häuschen gebrannt hatte, und die Kinder waren von den Luftmolekülen, die sich durch die Löcher im Stahl zwängten, nach draußen gelockt worden. In den Pausen von Isabels Monolog hörte Araceli gelegentlich ein Auto auf dem Broadway vorbeifahren oder wie ein Knallkörper ein paar Straßen weiter losging, und aus dem Haus nebenan hörte sie eine Merengue, die von Lippen und Küssen handelte und von noch mehr Küssen im flehenden Refrain: Bésame, bésame, bésame.
Auf der Veranda, gleich neben der offenen Haustür, erzählte Tomás den Neuankömmlingen die Geschichte des Viertels, in dem er, Héctor und María Antonieta wohnten, so wie er sie sich in den zwei Jahren hier infolge seiner Beobachtungen aus der Haustür und von seinem Bett am Fenster aus zusammengereimt hatte. Oft war er nachts unter seiner Decke hervorgekrochen und hatte aus dem Fenster geschaut, um nach der Ursache eines Geräusches zu forschen und Héctor Beschreibungen zuzuflüstern, denn der war meist zu furchtsam, selbst nachzuschauen: »Es ist die Polizei. Sie haben einen verhaftet, den ich noch nie gesehen habe. Er sitzt auf dem Bordstein. Sie drehen ihm die Arme nach hinten.« »Das war bloß ein Besoffener.« »Sie weint, und sie haut ihm auf die Brust, und jetzt nimmt er sie wieder in den Arm …«
Das Fenster und die Haustür kamen Tomás wie Fernseher vor, auf denen ständig die Programme wechselten; neue Schauspieler spielten neue Dramen auf der Bühne der 39th Street, ehe sie zu anderen Leben in anderen Vierteln aufbrachen. Da er selbst lange auf Achse gelebt hatte, schien ihm dieser Lauf der Dinge ganz normal. Er sah Chevy Novas ins Viertel einfahren, bis unters Dach vollgeladen mit Kisten und Handtüchern, oder er sah Leute von der Ladefläche eines Pick-ups springen oder zu Fuß kommen, ihren Besitz in großen Reisetaschen, die sie wie sture Arbeitstiere hinter sich herschleppten. Sie kamen plaudernd und lachend in großen Familiengruppen oder still und allein mit Umhängetasche unterm Arm, sie blinzelten zu den Straßenschildern hinauf, um sicherzugehen, dass sie nicht falsch abgebogen waren. Als stiller Beobachter hatte Tomás die Geschichten heimlich aufgesogen, und jetzt versuchte er, das Gesehene, so gut er konnte, wiederzugeben und seinen neuen Freunden zu zeigen, dass auch er erzählen konnte – obwohl er noch nie ein Buch gelesen hatte. Die 39th Street war eine Geschichte wie aus einem Buch, erkannte Tomás, doch die Figuren waren flüchtiger und wechselhafter als in Brandons Romanen.
Vieles im Viertel spielte sich unter den vier Straßenlampen ab, die man von der Veranda aus sehen konnte, sagte Tomás. Das waren Maschinen der Nacht, die eine Stunde nach Sonnenuntergang mit einem Klacken
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