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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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schon oft Ärger eingehandelt – daran erinnerte sie vor allem der andere Junge. Aber sie wusste auch, da draußen saß eine Frau in einer ganz ähnlichen Lage wie sie selbst: allein mit zwei Kindern und dem anderen Jungen, und nur die Besuche des Vaters ihrer Kinder zweimal im Monat – des Mannes, der seine Augen überall hatte – und seine finanziellen Beiträge machten die Situation überhaupt erträglich. Am vorigen Wochenende erst war ihr Ex da gewesen, daher hatte sie sich auch Nägel und Haare machen lassen, aber damit hatte sie nur erreicht, dass er sie ein oder zwei Herzschläge länger ansah als sonst.
    Als Isabel die Tür aufmachte, drückten Héctor, María Antonieta und der andere Junge ihren Film auf Pause und folgten ihr nach draußen.
    Isabel beugte sich herunter und fragte Araceli leise: »¿Tienen hambre? Tenemos Hotdogs .«
    »Hotdogs?«, rief Keenan. Ehe Araceli antworten konnte, waren ihre Jungen aufgesprungen und folgten den drei anderen Kindern in den Bungalow. Araceli murmelte »Gracias« und stolperte ihnen nach, die drei Stufen hinauf und durch den Eingang, dessen Türrahmen in acht Jahrzehnten so oft übergestrichen worden war, dass er aussah wie aus Ton modelliert. Sie betraten ein Zimmer, in dem der Fußboden fast unter einem chaotischen Gedränge von Möbeln verschwand: Ein gebrauchtes Sofa mit grobem Bezug, eine Anrichte, zwei Betten, ein Fernseher und verschiedene Regale waren zwischen die Wände gezwängt, deren Putz stark beschädigt war. In diesem Raum hingen noch Erinnerungen an Dutzende Familien, die hier gelebt hatten, darunter auch ein Clan ausgelaugter Landarbeiter namens Torres.
    Als Brandon und Keenan in diesen Raum traten, wurden ihre Augen vom alabasterweißen Gesicht einer reglosen Frau auf dem Fernsehschirm angezogen. Sie hatte ein großes Zepter in der Hand und eine Kristallkrone auf dem Kopf und saß in einem von einem Panther gezogenen Wagen. »Hey, cooler Film«, sagte Brandon, als er sich mit seinem Bruder auf den Teppich fallen ließ und darauf wartete, dass das Bild auf der Anrichte sich wieder in Bewegung setzte. Die drei Kinder in Isabels Obhut platzierten sich um ihre Gäste herum, und alle fünf Kinder reckten den Hals und sahen auf den Bildschirm, wo sich nun, eingerahmt von Stapeln zusammengelegter Kleidung und Handtüchern, eine aufwendig inszenierte Schlacht entwickelte. Brandons Blick glitt kurz zu der großen Votivkerze am Rand der Anrichte: Die zuckende Flamme erleuchtete den heiligen Jakob, Bezwinger der Mauren – das Bild ließ vermuten, dass die Erinnerung an Krieg und Eroberung in diesem Haus noch lebendig war.
    Araceli folgte Isabel zur Küche, die im Durchgang zwischen dem Fernsehzimmer und einem dritten Zimmer hinten lag. Dort standen zwei weitere Betten und eine Anrichte, auf der sich Feuchtigkeitscremes, Rougedöschen, Eyeliner, Parfümflaschen und Schminktöpfe drängten und ein Bukett aus Ethanol und Kokosöl verströmten. Von hier aus konnte Araceli die Kinder im Auge behalten und gleichzeitig Isabel zuschauen, die Wasser aus dem Hahn in einen Topf laufen ließ, um die Hotdogs zu erhitzen. La señora Maureen wäre empört: Sie bestand darauf, dass in ihrem Haus nur mit Wasser aus der Flasche gekocht wurde.
    »Und die Kinder?«, fragte Isabel auf Spanisch und in verschwörerischem Flüstern. »Was ist mit denen?«
    »Sie gehören zu der Familie, für die ich arbeite«, sagte Araceli sachlich. »Ihre Eltern sind einfach verschwunden. Und ich bin auf der Suche nach ihrem Großvater. Ich dachte, er wohnt hier.«
    »Vielleicht hat er hier mal gewohnt. Aber ich bin jetzt zwei Jahre in der Gegend und habe keine alten Leute gesehen, außer Mr Washington.« Isabel öffnete einen Schrank, in dem Brotlaibe, Konservendosen und Plastiktüten so eng gepackt waren wie U-Bahn-Passagiere in Mexiko City. Sie nahm eine kleine, flache Packung heraus und legte sie in die Mikrowelle, und bald schon hörte man den Mais poppen. Araceli schaute ins Wohnzimmer und sah, dass Brandon sich mit den anderen Kindern unterhielt. Alle beugten sich vor, Isabels Sohn nickte, seine Augen waren konzentriert zusammengekniffen. Sie fragte sich, in welcher Sprache sie sich wohl unterhielten.
    Als der Film zu Ende war, fingen Brandon und der Junge erneut an, über Handlung und Figuren zu diskutieren. Sie sprachen eine Mischung aus Englisch und Spanisch, mit weitaus größerem Anteil des Ersteren. »Ich glaube, die bruja blanca muss im nächsten Film zurückkehren«, sagte der

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