Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
Vom Netzwerk:
genoss die exotischen Klänge auf den Lippen, die fremden Worte, die ihre Bedeutung offenbar von den schwarzen Lederwesten und Tigerstreifen bezogen, die Los Tucanes trugen. Es handelte sich um eine Sängergruppe, die mit einem Sattelschlepper herumreiste, der hinter der Band auf dem Foto abgebildet war. Brandon stellte sich vor, wie sie in dieses Viertel rollten, das ganz offensichtlich ein Knotenpunkt war, ein Vorposten, eine Art Oase. Seine Bücher waren voll von derartigen Orten, von Sammelplätzen im Dschungel oder in der Wüste, in Höhlen und auf Berggipfeln, wo die Helden sich von ihren Kämpfen und von anderen Umbrüchen erholten. Eine geheime Kraft lockte die Menschen hierher. Wie sonst ließ sich all das Kommen und Gehen von Reisenden, Kriegern und Händlern erklären und dann auch noch seine eigene Ankunft nach der langen Wanderung von den Laguna Rancho Estates bis ganz hierher?
    An manchen Nächten, fuhr Tomás fort, wenn er auf den Stufen saß und einen Mann den South Broadway hinuntergehen sah, stellte er sich vor, das könnte sein Vater sein; vor allem wenn der Mann so unbeholfen und gebeugt stolperte, als hätte er den Kopf voll mit dem Zeug, das Isabel estupefecantes nannte. Tomás war nicht besonders scharf darauf, seinen Vater zu sehen, und beim Anblick dieser betrunkenen oder sonst wie berauschten Männer zog er sich oft wieder in den Bungalow zurück, nur für den Fall, dass sein Vater tatsächlich auftauchte, Anspruch auf ihn anmeldete und wieder mit ihm auf Absteigentour gehen wollte. Vermutlich war diese Furcht albern, denn es lag nahe, dass seine Eltern tot waren: Würden sie noch leben, wären sie schon längst gekommen, um nach ihm zu suchen, denn sie brauchten ihn ja, um sie zu ernähren und damit er den Rettungswagen rief, falls sie wieder das Bewusstsein verloren.
    »Vielleicht sind unsere Eltern auch tot«, sagte Brandon gedankenverloren. »Vielleicht haben sie uns deshalb mit Araceli allein gelassen.«
    »Nein, sind sie nicht«, sagte Keenan. »Ich habe doch mit ihnen geredet.«
    Ehe Keenan das weiter erläutern konnte, kam Araceli und sagte ihnen, es sei Zeit, ins Bett zu gehen. Sie zogen ihre Schlafanzüge an und kicherten noch ein bisschen mit Tomás und Héctor im Dunkeln, bis Araceli sich neben ihnen auf dem Boden ausstreckte und alle anwies, still zu sein. Die Müdigkeit vom vielen Laufen und Reisen des Tages übermannte die Jungen bald, und sie glitten mühelos in einen tiefen, schwarzen und ungestörten Schlaf ohne Träume, Phantasien und Illusionen.
    »Nein, ich würde Ihnen wirklich nicht empfehlen, jetzt auf den Freeway zu fahren, nicht heute und nicht zu dieser Tageszeit.« Der Hotelangestellte, ein gepflegt und kosmopolitisch wirkender junger Mann Mitte zwanzig, der aus dem Iran stammte, gab seinen Rat so entspannt und selbstbewusst, dass es Maureen wirklich schwerfiel, nicht sofort nach Hause zu ihren Kindern zu eilen und das Geheimnis des endlos klingelnden Telefons zu lüften. Es war offensichtlich schon einige Stunden zu spät zum Auschecken; das ließ sich nicht leugnen und war unerfreulich, denn nach dem Streit wegen des neuen Gartens war Maureen der Wert des Geldes schmerzhaft wieder bewusst geworden. Wenn sie jetzt wegfuhr, hätte sie es zum Fenster hinausgeworfen. Doch noch schwerer als die Geldverschwendung wog die ungünstige Verkehrslage. »Ich bin gerade auf dem Highway 10 hergekommen, und da sieht es in beiden Richtungen nicht schön aus. Könnte gut und gern fünf Stunden dauern, in die Stadt zu kommen. Morgen ist der vierte Juli.« Maureen stellte sich fünf Stunden Stop-and-go-Verkehr mit einer bewegungshungrigen, ausgeschlafenen Tochter hinten im Kindersitz vor. »Aber wenn Sie morgen ganz früh aufbrechen, ist alles frei und leer. Und Sie können das Frühstücksbüfett genießen, das Sie schon bezahlt haben. Dann haben wir auch frische Croissants!« Als sie Verkehr und Croissants gegen den nicht abgenommenen Telefonhörer abwog, schien ihr der Gedanke, dass ihre Söhne wahrscheinlich mit ihrem Vater zu irgendeinem »Jungsabenteuer« aufgebrochen waren, gleich viel plausibler. Sie waren draußen, flohen vor dem Lagerkoller, der die Bewohner des Hauses 107 Paseo Linda Bonita an langen Wochenenden gelegentlich packte. Sie stellte sich vor, wie sie im Wald zelteten, wie sich die Jungen nach Sonnenuntergang an ihren Vater kuschelten, wie sie in ihren viel zu selten genutzten Nylonschlafsäcken auf einem Bett aus Kiefernnadeln unter einem allmählich

Weitere Kostenlose Bücher