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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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waren die einzigen Fahrgäste im Bus, allein mit dem Fahrer, der unerlaubt Radio hörte. »Das war Stärke vier Komma acht, das Epizentrum in Barstow«, erklärte der Sprecher. »Bill Abrams, Feuerwehrchef von L. A. County, fordert uns alle auf, umsichtig mit den Feuerwerkskörpern umzugehen … in den Canyons von Los Angeles und im Orange County herrscht Brandwarnstufe Rot, und das bedeutet akute Feuergefahr … Und eine gute Nachricht für unsere Feiertagsausflügler: Auf allen Freeways habt ihr freie Fahrt!« Der Bus fuhr in eine Gegend mit cremefarbenen Häuschen im Missionsstil, mit Tür- und Fensterbögen, daneben schmucklose Mietshäuser, die an Monopoly-Hotels erinnerten. Den Horizont dahinter beherrschten die Stahlungeheuer der Hochspannungsmasten: Die Jungen starrten hinauf zu einem halben Dutzend paralleler Kabel, die zwischen den Masten in einem sanften Bogen ab- und wieder aufstiegen.
    »Wir folgen dem Strom«, sagte Keenan.
    »Genau«, sagte Brandon. »Wir sind wie Elektronen.«
    Sie kamen zur Endhaltestelle und gingen durch den Bus zur Vordertür, um dort auszusteigen. Araceli wunderte sich über die vielen Leute, die auf der Straße unterwegs waren. Sie blieb einen Augenblick beim schnauzbärtigen Fahrer stehen, der mexikanisch aussah. »¿Qué se hizo toda la gente?«
    »Es el vierter Juli. ¿No sabías?« , sagte der Fahrer. Sein Englisch klang so hart wie das eines Einheimischen, sein Spanisch farblos und ungeübt. »Wach auf, Mädchen. Du hast es doch grad im Radio gehört. Heute ist Feiertag!«
    Maureen ließ ihren Wagen pünktlich, aber auch nicht unerträglich früh – um Viertel nach acht – vom Parkplatz des Hotels rollen. Sie fuhr ohne Pause und traf laut Navigationscomputer drei Stunden und sechsundzwanzig Minuten später im Paseo Linda Bonita ein. Inzwischen stand die Sonne mittagshoch und brannte juliheiß, und aus irgendeinem Grund glühte das Auto ihres Mannes in der Einfahrt, anstatt in der kühleren Garage zu stehen. Diese Ungereimtheit nahm ihr allerdings die Angst, die sie gestern Abend überkommen hatte. Scott ist da. Sie öffnete das Garagentor, fuhr ihr Auto hinein und genoss das Gefühl, heimzukommen und nun wieder die Organisation des Hauses zu übernehmen, das sie aufgebaut hatte. Mit ihrer Tochter auf dem Arm schritt Maureen entschlossen zur Tür, die von der Garage in die Küche führte, und rief beim Eintreten laut: »Ich bin wieder da!« Sie überschaute die makellose und vertraute Küche, wo jedes Fliesenquadrat und jede glänzende Marmorfläche eine Note im Lied der Ordnung sang. »Ich bin wieder da!«, rief Maureen noch einmal, diesmal etwas rauer. Ihr Ruf hallte unbeantwortet durchs Haus, und ein paar Sekunden dachte sie, das Schweigen werde Ärger bedeuten, gleich würden ihre Söhne und ihr Mann aus einem der Zimmer kommen und sie böse anstarren, weil sie ihre Familie vier Tage lang im Stich gelassen hatte.
    Sie stiegen an einem breiten Boulevard aus dem Bus, der Brandon zugleich sehr neu und sehr alt vorkam. Eine Reihe von Läden säumte die Straße, jedes Gebäude war ein kräftiger, rechteckiger Roboter und trug den Namen eines Geschäfts: SOMBREROS EL CHARRO, KID’S LOVE, SPRINT MOBILE . Die Menschenmassen, die diesen Einkaufsbezirk sonst belebt hätten, waren heute nicht da, und im sanften Licht des Feiertagsmorgens begrüßte nur eine zweieinhalb Meter große Teenagerin mit Zahnspange und wehendem weißen Kleid Araceli und die Jungen. Ihre fröhliche Haltung war zweidimensional eingefroren und hinter schwarze Gitterstäbe gesperrt. Brandon schaute in ihr dunkles Schaufenstergefängnis und sah glitzernde Kinderkronen und Bilder von prächtigen Limousinen. Dies war ein Ort, so schloss er, wo Mädchen in Prinzessinnen verwandelt wurden, mithilfe von Geld und vermutlich speziellen Ritualen. Aber Prinzessinnengeschichten mochte Brandon nicht, also wandte er sich rasch wieder der Straße, seinem Bruder und Araceli zu, die ihre Köpfe nach Norden, dann nach Süden und wieder zurück drehten.
    »In welche Richtung gehen wir?«, fragte Keenan.
    »Tengo que preguntar« , sagte Araceli, aber es war niemand da, den sie hätte fragen können, also gingen sie den Bürgersteig entlang, vorbei an Parkuhren und schrägen Parkbuchten. Vor dem verzierten Türmchen eines verrammelten Art-déco-Kinos legte Keenan den Kopf in den Nacken, um die stehen gebliebene bronzene Uhr an der Spitze zu bewundern. Einen halben Block weiter fanden sie einen Laden mit offener Tür und

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