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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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mit der Hütte, in der el abuelo Torres vor einem halben Jahrhundert gewohnt hatte, und die meisten Leute, die sie hinter den Fliegengittern und Gardinen sah, waren viel jünger als er. Die Leute kamen ihr ungehemmt mexikanisch vor, trotz der gelegentlichen US -Flaggen. Araceli spürte, dass die Menschen hier ähnlich wie sie erst in jüngster Zeit vom amerikanischen Bargeldboom profitiert hatten, dass auch sie in Haushalten, Gärten und Fabriken arbeiteten und bestenfalls ein Jahrzehnt vor ihr damit angefangen hatten, das Sparschwein zu füllen. Nein, sie würden John, Johnny oder Juan Torres nicht kennen, also würde sie auch keine Energie aufs Fragen verschwenden. Stattdessen würde sie Mariselas Onkel finden und ihn bitten, die typisch amerikanischen Informationsquellen anzuzapfen, die Araceli immer noch ein wenig rätselhaft waren, die Listen von Namen und Zahlen, die kluge Finger auf einen Computerbildschirm zaubern konnten. Mit einem Anruf würde er sie endlich von den Kindern in ihrer Obhut befreien und ihre beschwerliche Reise beenden.
    In der halben Stunde, die Araceli und die Jungen zurück zum Pacific Boulevard und dann auf die andere Seite brauchten, erwachte Huntington Park weiter. Begrüßt wurden sie jenseits des Boulevards von den knarrenden Federn sich öffnender Garagentore. Frisch geduschte Hausherren holten Fassgrill, Gartenmöbel und anderes Zubehör für den vierten Juli hervor; hinter den Vorhängen brutzelten auf den Herdplatten cholesterinsatte Frühstücke. Brandon erkannte eine Ordnung in diesen Klängen und ihrer zunehmenden Lautstärke, die Macht der Gewohnheit hinter den Zäunen und Haustüren; Keenan hingegen war überzeugt, dass sie seinem Großvater näher kamen, der ganz ähnliche Geräusche mit seinen unbeholfenen Altmännerhänden machte. Im Laufe des Tages würde der Krach noch größer und vielseitiger werden: elektrisch und gasbetrieben, verstärkt und weit über die Grundstücksgrenzen hinaus, der Lärm von raubkopierten MP 3-Dateien und von Elektrowerkzeugen würde die Stille der benachbarten Wohnzimmer zerstören, wo alte Männer verdammt noch mal lesen wollten, er würde eine Straße weiter in die Schlafzimmer dringen, wo Teenager bis nachmittags zu schlafen versuchten. Der zunehmende Feiertagslärm erinnerte jeden Bewohner an seine vielen Nachbarn und ihre enervierenden Angewohnheiten: An ihre Neigung, nach Mama zu schreien, an ihre schlecht instand gehaltenen Toiletten, an ihr ausgiebiges Föhnen, an die Respektlosigkeiten gegenüber den Eltern und das ständige Herumgemecker an den Kindern. Mit jeder Stunde stieg der Geräuschpegel und nagte an den Nerven; ein weiterer Beweis, wenn noch einer gebraucht wurde, für das zentrale Problem, das die angenehme Atmosphäre von Huntington Park beeinträchtigte: zu viele Menschen zu dicht aufeinander auf zu wenig Platz.
    Die Einwohner von Huntington Park würden versuchen, diese vielen kleinen Irritationen am Feiertag des vierten Juli zu vergessen. Stattdessen wollten sie den Tag mit Hamburgern ausfüllen, mit carne preparada , mit Mesquite-Holzkohle und nicht unbedingt patriotischen Tätigkeiten wie Im-Gras-Lümmeln und Bierdosen-Leeren. Es war ein Tag der preiswerten Fülle in Huntington Park, dank der zweiten Hypotheken und ihrer illusorischen Einnahmen, dank der vielen Überstunden, die in den Bahnhöfen und Lagerhäusern erarbeitet wurden, in den Häfen, wo man die Produkte einer industriellen Revolution entlud, die auf der anderen Seite des Pazifiks stattfand. Les va bien , dachte Araceli, weil die Amerikaner immer noch viel Geld für das ausgeben können, was Menschen wie ich und diese Leute ihnen hier bieten. Araceli wusste allerdings nicht, dass der Strom der asiatischen Container sich bereits unmerklich verlangsamte, dass die Hypothekenlast hierzulande wie anderswo gewachsen war und die arbeitende Bevölkerung von Huntington Park sich Sorgen machte über die Schulden für das Zweitauto oder den Umbau der Garage zum Spielzimmer. Und darum waren sie auch so erfreut, erleichtert, entspannt bei der Aussicht auf das Gratisvergnügen heute Abend. Für den vierten Juli musste man keine Tickets kaufen, keine Parkplatzgebühren bezahlen, sich in keine Schlange einreihen, nur ausruhen und die Show genießen, sobald nach Sonnenuntergang der nachtschwarze Vorhang über den Horizont fiel. Um die Zeit würden sie ihre Liegestühle und Hälse in Richtung Salt Lake Park drehen, zum lokalen Feuerwerk, und alle Viertel im weiten Netz der

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