In den Häusern der Barbaren
und aus anderen Regionen, in denen man vornehmlich spanische Nachnamen trug. All diese Hausbesitzer hatten stets Trost und Beruhigung in den rechtwinkligen Straßen gefunden, in der von Landvermessern geduldig erzeugten Gleichförmigkeit, in der effizienten Raumausnutzung und angesichts der städtischen Arbeiter, die ihre Parks aufräumten. Die rot-weiß gestreifte Flagge mit ihrem blauen Sternenfeld war seit Langem Sinnbild dieser schützenden Ordnung, und das blieb sie für viele Einwohner von Huntington Park, auch wenn sie immer noch die Farben anderer Flaggen vorzogen und die anderen Ordnungsvorstellungen, die sie repräsentierten.
Als das Klackern der Kinderkoffer sich hinter ihm wieder entfernte, nahm Victorino Alamillo sein Sternenbanner und begann zu hämmern. Er wusste nicht, dass die Schläge seinen Nachbarn Jack Salazar aus dem Schlaf weckten und dazu brachten, den Vorhang zurückzuziehen. Alamillo hisst die Flagge. Na endlich! Er wartet tatsächlich bis zum Vierten! Auch Jack Salazar, mexikanischer Amerikaner der vierten Generation, hatte einen blauen Stern im Fenster und einen Sohn in Ramadi im Irak, und an seinen Dachtraufen waren 365 Tage im Jahr zwei amerikanische Flaggen angebracht. Mit Alamillos Flagge waren jetzt also drei Häuser in diesem Block so kühn, ihren Patriotismus am Independence Day zur Schau zu stellen – ganze drei! –, allerdings gehörte eines der Häuser einer pakistanischen Familie, und die zählte in Salazars rechtslastiger Weltsicht nicht. Die Flagge der pakistanischen Familie war aus Kunstfaser, und Salazar hatte das Gefühl, sie hatten sie nur aufgehängt, damit er ihnen keine misstrauischen Blicke mehr zuwarf und vielleicht gar zum Plaudern herüberkam, als wären sie normale Amerikaner. In Wahrheit hing die Flagge jedoch, weil ihre Tochter Nadia sie bei einer Demonstration fürs Einwanderungsrecht in der Innenstadt von Los Angeles gekauft hatte. Nadia Bashir, zwanzigjährige Biochemiestudentin an der UCLA , hatte beschlossen, die Flagge über der Haustür sei ein persönliches und ziemlich ironisches Statement zur kulturellen Evolution ihrer Familie. Als sie die Flagge aufgehängt hatte, waren ihr die Geschichten von ihrem Onkel Faisal eingefallen, der in den 1980er-Jahren in einem VW Käfer erstmals sorgenfrei durch das Herzland von Kanada und der USA gefahren war und aus seinem Kofferraum Bongs verkauft hatte. Die Vereinigten Staaten, pflegte er zu sagen, seien immer noch das gleiche Wohlfühlland wie damals.
»Hier gibt es keine Clans«, sagte ihr Onkel. »Deshalb geht es den Amerikanern so gut. Sie haben nicht so einen albernen angeborenen Groll gegen andere wie wir. Wir sind zu clanfixiert. Das hat uns immer schon zurückgeworfen.«
Worauf Nadia gern in ihrem frechen und leicht näselnden Los-Angeles-Akzent antwortete, den ihr in Pakistan geborener und in London ausgebildeter Onkel so zauberhaft provinziell fand: »Keine Clans? Jetzt hör aber auf. Selbst diese kleine Gemeinde hier besteht ausschließlich aus Clans!« In Huntington Park gab es einen großen spanischsprachigen Mexikanerclan, einen schrumpfenden, aber immer noch einflussreichen englischsprachigen mexikanisch-amerikanischen Clan, einen kleinen Clan von Leuten, die sich immer noch »Weiße« nannten, die verstreuten und zurückhaltenden Koreaner und Chinesen und inzwischen auch einen rasch wachsenden islamischen Clan, der in diesem Teil der Metropole zuletzt zugezogen war und daher von allen anderen am meisten gefürchtet und missverstanden wurde. Nahm man dazu noch die Krieg führenden Clans der Straßengangs mit ihren undurchschaubaren Verwicklungen sowie die beißende Komödie der beiden politischen Clans, die sich jeden zweiten Dienstag bei den Sitzungen des Stadtrats gehässig befehdeten, dann sah es kaum besser aus als in Vorderasien. In Huntington Park, fand Nadia, gab es unter der Fassade des harmonischen Miteinanders eine unterschwellige Strömung psychischer Gewalt. Die Koexistenz war so fragil wie die Stille, die sich heute Morgen so wundersam über die Siedlung gesenkt hatte, nur vom Klackern der drei Fremden unterbrochen, die an ihrem Schlafzimmerfenster vorbeigingen.
»Vielleicht sollten wir jemandem das Bild von Grandpa zeigen, um herauszufinden, ob er hier in der Gegend wohnt«, meinte Keenan.
Der Gedanke war Araceli auch schon gekommen, aber dann war ihr eingefallen, wie uralt das Foto war – sie würde sich bloß zum Narren machen. Dieses Viertel hier war eindeutig neuer als das
Weitere Kostenlose Bücher