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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Stadt würden durch das Licht und den Lärm des chinesischen Schwarzpulvers verbunden sein, lauter als jeder andere Krach des Tages. Das war der Lärm einer simulierten Schlacht, welche die respektvoll ruhigen Familien von Huntington Park mit ihren lauten Problemnachbarn vereinen würde, örtlich und inhaltlich, sie alle würden an den Namen des souveränen Landes erinnert werden, auf dessen Boden sie standen: Los Estados Unidos de América, die USA . Dieses Land wurde zusammengehalten von Gehaltsschecks mit Steuerabzügen, von Standardformularen in so gut wie jeder Sprache, von Streifenwagen, die manchmal spätnachts vor den Häusern der schlimmsten Ruhestörer hielten und sie baten, die Lautstärke herunterzudrehen, wenn es ginge, bitte schön. Und dieses Land beherbergte auch ein Vorstadtviertel, durch das zwei Jungen mit ihrer Aufpasserin wanderten und dabei Türen und Fenster nach einem Großvater absuchten, der hier nie gelebt hatte.
    Der Rest des Hauses war ebenso makellos wie die Küche. Maureen wanderte durch die Räume und fand kein verirrtes Geschirr, keine Schüsseln mit Cornflakes und geronnener Milch im Wohnzimmer, keine schmutzige Kleidung auf dem Flur; keine Legosteine lagen umher, die Fenster waren fleckenfrei. In Aracelis Ordnungssinn fand Maureen eine Erklärung für die Abwesenheit. Sie sind weg zu irgendeiner Unternehmung, und Scott hat Araceli mitgenommen, das wäre auch das Vernünftigste, und bevor sie gegangen sind, hat Araceli sauber gemacht, weil sie genau wie ich kein unaufgeräumtes Haus verlassen kann. Aber was war mit Scotts Auto? Waren sie zu Fuß aufgebrochen, eine Expedition in den Park, der anderthalb Kilometer entfernt war? Oder ein Picknick auf den Wiesen?
    Maureen beschloss, auf ihre Rückkehr zu warten, und machte ihrer Tochter Mittagessen. Den Topf und das schmutzige Geschirr ließ sie für Araceli in der Spüle liegen. Als sie fertig waren, sagte sie: »Na komm, Sam, dann wollen wir mal deine Brüder finden … und deinen Vater.« Wahrscheinlich würden sie jeden Moment aus dem Park zurückkehren. »Komm, wir retten sie, das ist nämlich ziemlich weit bergauf. Ich weiß nicht, ob die arme Araceli das schafft.«
    Fünf Minuten später fuhr Maureen am selben Park vor, wo sie vor zwei Wochen Araceli und die Jungen verärgert abgesetzt hatte. Heute war das Gelände leer, denn alle Kindermädchen, die sich sonst hier versammelten, waren wegen des vierten Juli nicht da. Sie gab rasch wieder Gas und fuhr zurück in Richtung ihrer Wohnsiedlung. An der Bushaltestelle hielt sie an und schaute aus dem Auto ins kniehohe Gras der Wiese, das die Sonne gold-grün gebleicht hatte. Sie erinnerte sich, dass sie vor ein paar Jahren tatsächlich mit Scott und den Jungen hier gepicknickt hatte, um den freien Blick aufs Meer zu genießen. Sie wären sicher noch einmal hergekommen, wenn nicht die vielen Kuhfladen auf der Wiese ihr die Lust auf Sandwiches und Pinot Noir verdorben hätten. Jetzt suchte sie die wogende Grasfläche nach ihrem Mann ab oder nach ihren Kindern oder der großen, kräftigen Gestalt ihrer mexikanischen Angestellten.
    »Wo sind sie, Samantha?«
    Wo sie auch sein mögen, sie müssen hier vorbei. Zu Fuß oder im Auto, sie müssen durch dieses Tor. Sie hatte den Motor abgestellt und fragte sich gerade, wie lange sie wohl würden warten müssen, als sie eine Gestalt am Horizont auftauchen sah: Ein Mann ging dort, wo die Wiese steil abfiel, er hatte Mühe, sich auf den Füßen zu halten, als würde er gegen eine unsichtbare Flut ankämpfen.
    Araceli entriegelte das Gartentor und ging auf einem geraden Pfad über den Rasen zum Haus, stieg auf eine Veranda und klingelte an der Tür. Ihre beschwerliche Reise bis zu dieser Adresse wurde erfreulicherweise belohnt, indem sofort ein kernig gut aussehender Mann Mitte vierzig die Tür öffnete und sie mit einem höflichen »Buenos días« begrüßte. Sein bleistiftdünner Schnauzbart und sein beschwingtes Lächeln hatten schon Herzen gebrochen, als er vor zwanzig Jahren Mexiko City verließ. Salomón Luján erwartete Araceli und die Jungen bereits, denn vor einer Stunde hatte er mit halbem Ohr seiner Nichte gelauscht, die ihm die Familiensaga der Torres-Thompsons erläutert hatte. Gleichzeitig hatte er zwei Arbeitstrupps überwacht, die in seinem Garten ein Zeltbaldachin und ein Trampolin aufbauten, für die große Familienfiesta der Lujáns zum vierten Juli.
    Jetzt stand Mr Luján an seiner Tür und hörte die Geschichte der verschwundenen

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