In den Häusern der Barbaren
zurück und legte ihm einen Arm um die Schulter.
»Ich möchte euch den Leuten hier vorstellen«, sagte er zu den Jungen. Dann wandte er sich zu Araceli und sagte in freundschaftlichem Spanisch: »Y tú también.«
Im Augenblick waren die einzigen Gäste die vier jungen Erwachsenen, die im Halbschlaf am Tisch saßen, anscheinend hypnotisiert von der Klaviermusik, die aus zwei kofferradiogroßen Lautsprechern klang. Ein einzelner Klavierton wurde zwischen wirbelnden Flötenfiguren wiederholt, dann fing eine Tenorstimme an zu singen, kippte ins Falsett, und Araceli fand es eigenartig, dass diese jungen Menschen mit ihren eindeutig mittelamerikanischen Zügen einer eher weichlichen englischen Stimme lauschten.
History involved itself,
mysterious shade that took its form.
Or what it was, incarnation,
three stars,
delivering signs and dusting from their eyes.
»¡Buenos días!« , rief Stadtrat Luján, worauf seine Tochter Lucía sich erschrocken aufrichtete und ihre drei Freunde stöhnend erwachten und zu husten begannen.
»Das ist Araceli«, sagte er zu Lucía. »Sie ist mit deiner Cousine Marisela befreundet. Und sie besucht uns zum Feiertag mit den beiden Jungen, um die sie sich kümmert. ¿Cómo se llaman? «
»Brandon.«
»Keenan.«
»Seht mal, sie sind gerade mit dem Trampolin fertig«, sagte Mr Luján. » Vayan a jugar. Geht spielen.«
Die beiden rannten weg, und Araceli setzte sich zu den vier jungen Leuten. Lucía Luján war neunzehn, und Araceli erkannte in ihr sofort das Mädchen von dem Examensfoto im Wohnzimmer, auch wenn die dicken Zöpfe, zu denen sie ihre Haare für den Sommer geflochten hatte, sie seltsamerweise etwas jünger aussehen ließen. Ihre Freundinnen und Freunde trugen kleine Stecker in den Nasenflügeln und Kreolen in den Ohrläppchen. Araceli dämmerte, dass sie bei den städtischen Modetrends nicht mehr auf dem Laufenden war. Wahrscheinlich trug man so etwas auch schon in Mexiko City oder würde es bald tragen, dachte Araceli. »Hola, ¿qué tal?« , sagte Lucía und rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Ich glaube, meine Cousine hat mir mal von dir erzählt.«
Lucía steckte in denselben Sachen, die sie schon gestern Abend angehabt hatte, war aber selbst im müden und zerknitterten Zustand noch ein Abbild hipper und modebewusster mexikanischer Weiblichkeit. Sie trug eine Vintagebluse mit Biesen aus karamellfarbener Seide, und der schimmernde Stoff spielte im Licht eigenwillig mit ihrer kupferbraunen Haut und einem halben Dutzend Freundschaftsarmbänder. Die Bluse sah hundert Jahre alt und gleichzeitig brandneu aus. Lucía war seit zwei Wochen aus Princeton zurück und litt immer noch unter brutalem kulturellen Schleudertrauma: Neun Monate hatte sie unter ausgewählten Genies und Wohlstandskindern gelebt, von denen keines die Widersprüche nachvollziehen konnte, denen sie als junge Immigrantentochter ausgesetzt war. Eine Woche vor den Abschlussprüfungen hatte sie mit einem jungen Mann Schluss gemacht, der aus einem schwerreichen Teil von Long Island stammte: weil er von einem Besuch in Huntington Park diesen Sommer geredet hatte. Der Gedanke, dass er in seinen Sommerklamotten von Tommy Hilfiger ihr Elternhaus betreten könnte, war einfach unerträglich gewesen. Sie hatte sich vorgestellt, wie er ihren Freunden die Lorca-Gedichte vortrug, die er auswendig gelernt hatte – ¡verde que te quiero verde! –, und war zu dem Schluss gekommen: Nein, das würde in Huntington Park nicht so gut ankommen. Sie versuchte immer noch herauszufinden, wo sie eigentlich stand nach diesem neunmonatigen Wachtraum von versteinerter Ostküstentradition und ungeschminktem amerikanischen Ehrgeiz. Ich bin nicht mehr dieselbe Lucía. Sie wusste zudem noch nicht, wie sie ihrem Vater beibringen sollte, dass sie statt der Einführungskurse fürs Medizinstudium lieber Seminare zu Walt Whitman, Jack Kerouac und James Baldwin belegt hatte. Lucía, die Elitestudentin, lächelte nicht mehr so schnell wie früher, stattdessen lachte sie etwas lauter und härter, mit einer Art zynischer Bosheit, die ihre Freunde nicht an ihr kannten. Sowohl Lucías Vater als auch ihr Freundeskreis hatten ihr schon komische Blicke zugeworfen, die ungefähr sagten: Ist es möglich, dass du dich jetzt für was Besseres hältst? Daher war es Lucía eine Freude, sich mit einer gebildeten Latina von außerhalb ihrer Kreise in Huntington Park oder Princeton zu unterhalten. Nach wenigen Minuten entspannter Konversation hatte sie eine
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