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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Telefonistin, wahrscheinlich hat sie die beiden vor ein paar Stunden zuletzt gesehen. Notruftelefonistin Melinda Nabor war eine mexikanisch-amerikanische alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Jungen, die während ihrer Arbeitszeit von der Großmutter betreut wurden, und ihrer Erfahrung nach gab es ständig Missverständnisse zwischen Eltern und »Pflegepersonal«. Die Rückverfolgung der Nummer ließ auf ihrem Schirm eine Adresse aufblinken, die zu einer der teuersten Wohngegenden im ganzen County gehörte, und sie hörte sich schon sagen: Jetzt reißen Sie sich mal zusammen, Lady. Ich bin sicher, ihr teures mexikanisches Kindermädchen hat alles unter Kontrolle. Manche ihrer Kolleginnen gaben den verwirrten Anrufern kluge Ratschläge, das tat sie selbst allerdings nie. Sie hielt sich immer an die vorgegebenen Skripte und Protokolle, denn die waren beruhigend logisch und professionell, mit ihrer Hilfe konnte man alle möglichen Ereignisse in einen Ablauf kanalisieren, der menschliche Dummheiten in korrekte Codes und »Entsendungen« übersetzte und entschied, welche Einheit aus welchem der achtundzwanzig sich überlappenden Polizeibezirke in ihrem Rufbereich losgeschickt wurde. In diesem Fall fuhr der County Sheriff zu einer Gemeinde, die so reich war, dass die Leute dort lieber unabhängig und privat blieben, als eine eigene Stadtverwaltung zu bezahlen.
    »Wir schicken Ihnen einen Streifenwagen vorbei.«
    »Vielen Dank«, sagte Maureen demütig.
    »Orange County Sheriffs. Die sollten in Kürze da sein.«
    »Vielen Dank.«
    Deputy Ernie Suarez entging dass Missverhältnis nicht: eine Mutter, die mit rot geweinten Augen den Verlust ihrer Kinder beklagte, in einem perfekt eingerichteten und aufgeräumten Wohnzimmer, wo ihr Mann die kleine Tochter auf dem Arm hielt, weil die Mutter so außer sich war. »Meine wundervollen Jungen! Ich habe sie verlassen, und jetzt sind sie weg«, weinte die Mutter. »Sie sind weg!« Er war erst einmal in den Laguna Rancho Estates gewesen, in einem Fall häuslicher Gewalt, zufälligerweise in genau dieser Straße, wo ein alter Seemann seine vietnamesische Frau verprügelt hatte. Die Frau hatte nicht geweint und von einer Anzeige geschrien, sondern einfach nur wie benebelt aus dem Fenster in Richtung Meer geschaut und wahrscheinlich an den Kontinent jenseits dieser blauen Fläche gedacht. Ansonsten war dieser Teil seines Reviers tote Gegend. Normalerweise fuhr er mit seinem Chevy Caprice am Eingangstor vorbei, winkte den Pförtnern zu und nahm deren hochgereckten Daumen als Aufforderung, wieder umzukehren und hinunter in die wirkliche Stadt zu den wirklichen Problemen zu fahren.
    »Wir haben sie bei ihrem Kindermädchen zurückgelassen. Bei unserer Haushälterin«, wiederholte der Ehemann, was die Mutter allerdings bereits vor ihrer Heulattacke erzählt hatte.
    »Araceli heißt sie, ja?«, sagte der Deputy mit einem Blick in sein kleines Notizbuch.
    »Ja.«
    »Und ein Nachname?«
    »Ramirez.«
    »Alter?«
    »Mitte zwanzig. Glaube ich.«
    »Wo kommt sie her?«
    »Mexiko.«
    »Aufenthaltsstatus?« Deputy Suarez wusste, dass er korrekterweise diese Frage eigentlich nicht hätte stellen dürfen, aber sie lag einfach in der Luft, die » I -Worte« klangen aus den Fernsehnachrichten, aus den politischen Radiosendungen: Immigration, Immigranten, Illegale, illegal. Man hörte »Mexiko« und dachte sofort an diese Worte und an die entsprechenden Verbrechen. Und wenn man einen spanischen Nachnamen hörte, der auf z endete so wie seiner, dann dachte man an Mexikaner und die verschiedenen Bundesgesetze, die sie beim Sprung über den Zaun in die Vereinigten Staaten verletzt hatten. Außer diesem z hatte Deputy Suarez selbst keine Verbindung zu Mexiko und sah keinen Widerspruch zwischen seiner wachsenden Sorge über die südlichen Nachbarn und die I -Worte einerseits und seiner eigenen Familiengeschichte an der texanischen Golfküste andererseits.
    »Ich habe keine Ahnung, ob sie legal hier ist oder nicht.«
    »Aber dass sie von da kommt, da sind Sie sich ziemlich sicher? Aus Mexiko?«
    »Ja.«
    Deputy Suarez biss sich besorgt auf die Lippen. Vor ein paar Wochen war er zum Posten des Grenzschutzes in San Ysidro gefahren, um mit einem alten Kollegen und Kumpel zu Mittag zu essen und sich über eine mögliche berufliche Zukunft bei der Bundespolizei zu informieren. Ergebnis der Unterhaltung war, dass sein Mexikobild rapide gelitten hatte. Bis dahin hatte er gedacht, der Job bei der Grenzpatrouille sei

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