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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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dem Nachttisch stand eine Lavalampe, die Brandon morgens zum Lesen angeschaltet hatte. Sie hatten sich leise an ihrer zeitweiligen Aufpasserin vorbei- und durch das stille Haus geschlichen, vorbei an einer Schlafzimmertür, die vom tektonischen Schnarchen eines älteren Mannes erbebte, durchs Wohnzimmer, wo einige Plastikbecher voller Zigarettenkippen auf dem Couchtisch standen, und schließlich in den leeren Garten. In der Gargrube stocherten sie nun mit gesplitterten und verwitterten Holzlatten, die sie in der Nähe gefunden hatten, zwischen den Steinen herum und fragten sich, ob sie deshalb wohl Ärger kriegen könnten. Sie fanden verstreute Stücke Alufolie und Holzkohle, ein paar Knochen, die abgekaut und wieder in die Grube geworfen worden und nun mit Asche und Erde verklebt waren. Nur Flammen oder schmelzende Felsen oder sonstige Brennstoffe konnten sie nicht entdecken.
    »Sind bloß Steine«, sagte Keenan und schaute seinen älteren Bruder an. Er bemerkte dessen Enttäuschung.
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wenn du was nicht siehst, heißt das nicht, dass es nicht trotzdem da ist.«
    Sie wanderten durch den Garten, traten gegen die Pappzylinder, die einmal Böller gewesen waren, hoben die Stäbe von abgeschossenen Raketen auf. Brandon sammelte ein paar Bierdosen ein, baute sie zu Pyramiden und kleinen Festungen auf, die er dann mit den explodierten Böllerhüllen bombardierte. Sie brachen mit realistischem Scheppern zusammen. Als sie damit fertig waren, ließen sie sich auf die gemieteten Bierbänke fallen und stützten die Ellbogen auf die Tische wie Studenten, die sich im Nachmittagsseminar wach zu halten versuchten.
    »Ich will zu Grandpa«, sagte Keenan.
    »Ja, ich auch.«
    Keenan überlegte, ob Weinen wohl helfen könnte, auch wenn es nicht das spontane Geheul sein würde, das man zum Besten gab, wenn man sich den Ellbogen abgeschürft hatte oder vom großen Bruder übel beschimpft worden war, sondern eher das ganz bewusste, manipulierende Greinen, das er manchmal von seiner kleinen Schwester hörte. Samantha heulte bei jedem Anlass und bekam anscheinend immer ihren Willen. Keenan entschied, dass er beim nächsten Erwachsenen, der ihm über den Weg lief, dieselbe Strategie anwenden würde, aber dann flog die Fliegengittertür auf und Lucía Luján kam auf ihn und seinen Bruder zugerannt. Griselda Pulido folgte ihr, beide Frauen trugen schicke Abendgarderobe, was vermuten ließ, dass sie die ganze Nacht auf gewesen waren. Ihre Gesichter wirkten hellwach und zeigten eine seltsame Mischung aus Überraschung, Entzücken und Sorge.
    »Wir haben euch gerade im Fernsehen gesehen«, sagte Lucía. »Ihr werdet vermisst.«
    »Was?«
    »Im Fernsehen sagen sie, ihr werdet vermisst. In den Nachrichten.«
    »Wir sind vermisst?«
    »Genau das habe ich gesagt.«
    »Aber ich bin doch hier«, sagte Brandon. »Wie kann ich denn vermisst sein?«
    Die Jungen folgten Lucía und Griselda ins Wohnzimmer, wo der Fernsehschirm leuchtete. Enttäuscht sahen sie die Bilder eines Buschfeuers, das sich einen Hang hinauffraß. »Hey, vor einer Sekunde warst du noch drauf«, sagte Lucía, griff zur Fernbedienung und fing an zu zappen.
    »¿Qué paso?« , fragte von hinten Araceli, die vom Türenschlagen aufgewacht war.
    »Wir haben die Jungen im Fernsehen gesehen«, sagte Griselda.
    »¿Qué?«
    »In den Nachrichten.«
    Verschiedene Bilder und Stimmen tauchten im Fernseher auf und verschwanden wieder: ein blondes Starlet, das vom roten Teppich der Menge zuwinkte; die Spieler der mexikanischen Fußballnationalmannschaft in grünen Trikots, die im Spiel vom vorigen Abend einen Torschützen jubelnd umwarfen und drückten; ein Supermarkt mit leeren Regalen, der Fußboden übersät mit Kisten und Dosen, darunter die Worte ERDBEBEN IN BARSTOW ; zwei spanischsprachige Nachrichtensprecher im Studio mit der schwangeren Wettermoderatorin, die sich den Bauch rieb und die Zunge herausstreckte, worauf die Sprecher lachend auf den Tisch hieben.
    »Ich habe euch beide gesehen«, sagte Lucía. »Ich schwör’s.«
    »Ihr seid verrückt«, sagte Araceli. »Ihr seid genau wie dieser Junge hier. Ihr phantasiert.«
    »Sie haben gesagt, dass sie verloren gegangen sind«, entgegnete Griselda auf Englisch. »Perdidos.«
    »Da sind wir ja!«
    »Cool!«
    Brandon und Keenan grinsten plötzlich breit vom Bildschirm, und die Unvollkommenheit ihrer Schneidezähne war mehrere Sekunden in HD zu sehen. Brandon hielt sich unwillkürlich die Hand vor den Mund,

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