In den Häusern der Barbaren
in etwa mit einer Hühnerjagd zu vergleichen, man würde eben ein paar Menschen in der Wüste zusammentreiben und wieder hinter den Zaun sperren. Er hatte Mexiko für ein farbenfrohes Paradies mit billigem Fusel und Kunsthandwerk gehalten. Doch sein alter Freund erklärte, dass auf der anderen Seite des Zaunes eine terroristische Armee heranwuchs, bestens bei Kasse dank Kokain und Crystal Meth. Diese Gesetzesbrecher beherrschten Baja California mit ihren automatischen Schusswaffen und ihren Luxusgeländewagen, und sie trugen seltsame Spitznamen wie »Mr Drei Buchstaben« oder »Die Krücke«. Sie kontrollierten die Schmugglerringe, von denen die Leute durch die Wüste geschleust wurden, manchmal auch an den Grenzposten vorbei, weil selbst die Zollbeamten geschmiert wurden: »Das kann man riechen.« Deputy Suarez fand es zutiefst verstörend, dass die Korruption nicht einmal vor den gut bezahlten Agenten der Bundesbehörde haltmachte. Die Drogengangs beherrschten auch das Entführungsgeschäft, sie schnappten sich Ärzte und Lehrer und die Kinder der Reichen von Tijuana, sie folterten ihre Feinde und warfen ihre Leichen auf die Highways, mit angehefteten Botschaften und den eigenen abgeschnittenen Fingern im Mund. »Hier geht echt richtig finstere Scheiße ab, Bruder.« Deputy Suarez war als Kind mal in Tijuana gewesen und erinnerte sich, dass er sich ängstlich an der Hand seiner Mutter festgehalten hatte, als die sich zwischen den belagerten Marktständen hindurchdrängte. Und jetzt trieben in dieser Stadt hinterm Zaun ganz neue, echte Dämonen ihr Unwesen.
»Glauben Sie, sie könnte sie nach Mexiko gebracht haben?«
»Nein. Nein. Ich meine, nein, ich glaube nicht. Aber ich bin mir nicht sicher. Was? Glauben Sie denn, sie könnte sie nach Mexiko gebracht haben? Kommt so was vor?«
»Mich überrascht eher, was nicht vorkommt.«
Scott zeigte ihm Aracelis Zimmer, weil er dachte, das geschulte Auge des Deputy könnte etwas entdecken, was ihm entgangen war. »Das ist ja schräges Zeug«, sagte der Deputy laut. Sein Blick richtete sich auf einen der Zeitschriftenausschnitte an der Wand: Die Abbildung zeigte ein Ölgemälde von einer Frau, die rücklings auf einem Bett lag, das Gesicht von einem weißen Laken verhüllt. Ein Baby mit dem Gesicht einer erwachsenen Frau, deren Augenbrauen dicht zusammengewachsen waren, zwängte sich aus der Vagina der Liegenden. »Junge, ist das krank«, sagte Deputy Suarez und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Er hatte es geschafft, vier Jahre Highschool und zwei Jahre am Rio Hondo College hinter sich zu bringen, ohne je ein einziges modernes Kunstwerk zur Kenntnis zu nehmen, und er gehörte zur Minderheit der Menschen lateinamerikanischer Abstammung in Südkalifornien, die noch nie von Frida Kahlo gehört hatten. So was nennt man »pathologisch«. Das weiß ich noch aus meinem Kriminalistikkurs. Als Nächstes schaute er sich Aracelis kubistisches Selbstporträt an und hielt es für die Darstellung eines der beiden vermissten Jungen. Wie sagt man noch? »Zerstückelt.« Dieses Gesicht ist zerstückelt. Langsam kam ihm der Gedanke, die Jungen könnten vielleicht von dieser Person in ein Versteck gebracht worden sein und dort misshandelt werden.
Der Deputy hatte jedenfalls genug gesehen, verließ das Zimmer und bat den Vater um Fotos von den beiden Kindern und dem Kindermädchen, worauf die Eltern irgendwo im Haus verschwanden, um welche zu suchen. Als er allein war, rief er sein Revier an. Es gab jedes Jahr zwei oder drei Fälle von Entführung nach Mexiko in diesem County, wobei es sich allerdings immer um Einwandererfamilien handelte. Eine Entführung aus den Laguna Rancho Estates nach Mexiko, in die noch dazu eine nichtverwandte Person verwickelt war, schrie geradezu »dringend«. Und außerdem war es ohnehin üblich, in den Verdachtsfällen von Kindesmissbrauch oder -misshandlung und bei vermissten Kindern direkt mit dem Reviervorsteher zu sprechen.
»Hey, Sergeant, ich bin oben in den Estates, und ich glaube, die Sache ist ziemlich ernst. Ich hab hier zwei vermisste Kinder. Möglicherweise ein Entführungsfall.«
»Hä?«
»Ich habe gesagt, hier liegt eine Kindesentführung vor. Womöglich. Oben in den Estates.«
»In den Estates?«
»Ja.«
»Ach du Scheiße.«
»Sag ich doch. Zwei Kinder werden vermisst. Sieht so aus, als hätte das Kindermädchen sie mitgenommen. Vielleicht nach Mexiko.«
»Sie hat sie nach Mexiko geschafft?«
»Vielleicht. Weiß ich nicht.
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