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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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endlich durchschaut. In der Rückwärtsbewegung rammte er seine Rückenlehne in den Rigips des Verhörraumes, woraufhin alle Wände wackelten. »Diese Leute haben Ihnen ihre Kinder anvertraut, und Sie wollten sie leiden sehen. Ich verstehe das nicht. Oder sind Sie einfach nur unglaublich verantwortungslos?« Araceli versuchte, die Ereignisse der letzten Woche aus der Perspektive dieses geschmackvoll gekleideten, sorgfältig frisierten Gentleman zu sehen. Sie beschwor ein Bild von sich selbst herauf, wie sie mit Brandon und Keenan eine Bank betrat und die Jungen in Gold aufwiegen ließ oder sie zu einem schnauzbärtigen Kinderhändler brachte und gegen ein Bündel Pesos eintauschte. In den Augen des Staatsanwaltes war Araceli zu alldem fähig, wohingegen Maureen und Scott, die ahnungslosen Eltern, ihr Brandon und Keenan anvertraut, die Kinder zum Abschied geküsst und sie in guten Händen geglaubt hatten. Diese absurde Vorstellung sowie der unverhohlene, wachsende Abscheu des Staatsanwaltes brachten Araceli dazu, unvermittelt in schallendes Gelächter auszubrechen. Auf Spanisch nannte man diese Art von Amüsement carcajada , eine lautmalerische Bezeichnung in Anlehnung an einen schnatternden Vogel. Dabei war Aracelis Lachen sonorer, säugetierhafter, es kam tief aus dem Zwerchfell, ein Lachen, das sie an ihre eigene Kindheit erinnerte, an die verschlagenen Straßenhändler von Nezahualcóyotl und an ihre Großmutter aus Hidalgo. Sie lachte und spürte die geballte Last des Tages von sich abfallen, was ihrer Heiterkeit eine gewisse Eigendynamik verlieh. In aufrichtiger Fröhlichkeit beugte sie sich vor und zeigte den drei Männern ihr strahlendes Lachen, das schon Sasha »Big Man« Avakian verzaubert hatte. Noch während sie lachte, fing sie die Blicke des Detectives und des Polizisten auf, deren zu einem flüchtigen Lächeln verzogene Lippen ihr verrieten, dass sie verstanden hatten. Aracelis Lachen perlte von der schweren, stählernen Tischplatte und dem breiten Einwegspiegel an der Wand ab, dreißig Sekunden lang, bis sie sich schließlich beruhigte und einen zufriedenen Halbseufzer ausstieß.
    Der Detective dachte: Das war ganz bestimmt kein Täterlachen.
    Der Polizist lüpfte die kugelsichere Weste unter seiner Uniform und schlussfolgerte: Nein, diese Lady ist keine Kidnapperin. Zu schade, dass wir sie der Einwanderungsbehörde überstellen müssen.
    Der Staatsanwalt reagierte genau entgegengesetzt: Wenn das kein Schuldeingeständnis ist. Mit diesem aggressiven Gelächter will sie uns provozieren.
    »Ich wollte sie zu ihrem Großvater bringen!«, rief Araceli plötzlich. »Diese Leute, die Sie im Fernsehen auftreten lassen, diese Eltern, los responsables , haben mich mit Brandon y Keenan vier Tage allein gelassen! ¡Sola! Seit Samstagmorgen! Wir hatten nichts mehr zu essen.«
    »Die Eltern sagen, sie seien für zwei Tage weg gewesen.«
    »¡Mentira!«
    »Das heißt ›Lüge‹ auf Spanisch«, erklärte der Polizist von der Schwelle aus. Auf seinem Namensschild stand Castillo.
    »Wen meinen Sie mit ›Großvater‹?«
    » El abuelo Torres.«
    »John Torres?«
    »Ja.«
    »Ist es der hier?«, fragte der Detective und hielt die Schwarz-Weiß-Fotografie von el abuelo Torres aus Aracelis Rucksack in die Höhe.
    » Sí . Ich meine, ja, der ist es.«
    Daraufhin ließ sich der Detective Aracelis Sicht der Dinge schildern, den Streit zwischen Maureen und Scott, den zerbrochenen Tisch, die missglückte Fahrt durch Los Angeles und ihr Ende in Huntington Park, wo Araceli die Flucht ergriffen hatte, weil sie im Fernsehen zu sehen war. »Ich höre, wie das Fernsehen sagt, ich bin eine Kidnapperin. Was habe ich gedacht?«, sagte sie. »Deswegen bin ich gelaufen. So schnell ich konnte, was nicht sehr schnell ist, leider.« Goller schwieg. Offenbar irritierten ihn die schnelle Abfolge der Fragen des Detective und Aracelis prompte Antworten.
    »Ich wollte nicht, dass Brandon und Keenan in Flege landen«, erklärte Araceli.
    »Wie bitte?«, fragte der Detective.
    »In Flege. Porque no estaban sus padres . Weil sie keine Eltern hatten! Ich wollte nicht, dass sie da landen.«
    »In Fliege?«
    »In Flege.«
    »Sie meint Pflege. In einem Pflegeheim«, mischte sich Officer Castillo von der Tür aus ein. »Es heißt nicht Flege«, fügte er mit verdrehten Augen hinzu, »sondern P-flege .«
    Detective Blake studierte das alte Foto mitsamt der auf die Rückseite gekritzelten Adresse, ließ sich zurücksinken und ärgerte sich über die

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