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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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der Filmcrew los.
    »Boah, die jagen sie.«
    »Sie haben ihre Stöcke rausgeholt.«
    »Ist das echt?«
    »Knüppel. Die heißen Knüppel, nicht Stöcke.«
    »Hast du das drauf?«, schrie der Regisseur den Kameramann an. Er rief den Namen des Hauptdarstellers: ein aufstrebender Jungschauspieler, dessen Mitwirken die Finanzierung des Films gesichert hatte. Es war ein vierundzwanzigjähriger Australier mit dünnem kastanienroten Bart, der gut zu seinen Augen passte und die Ausstrahlung eines anständigen Jedermanns betonte – ganz à la Gary Cooper –, was auf eine große Blockbuster-Zukunft hoffen ließ. »Bleib in der Rolle«, sagte der Regisseur, »in der Rolle.« Der Schauspieler holte tief Luft und versuchte sich an die Improvisationsübungen an der Schauspielschule zu erinnern. Er streckte die Arme nach unten, entspannte seine Gesichtsmuskeln, bis er ehrlich verblüfft und zugleich flehend wirkte. Sein Gesicht wurde im Profil aufgenommen, wie er die Verfolgungsjagd beobachtete. Eine Mexikanerin lief in einer Staubwolke auf sie zu, zwei Männer in Schwarz waren etwa hundert Meter hinter ihr.
    »Sie werden sie verprügeln«, sagte ein Assistent atemlos. »Sie werden sie zu Klump hauen.«
    »Mach einen Schritt auf sie zu. Nur einen Schritt.«
    Der Schauspieler bewegte sich zögernd in Richtung der Fliehenden, als wollte er ihr helfen, wisse aber nicht so genau, wie.
    »Gut. Jetzt noch einen. Nur einen. Sind wir immer noch drauf?«
    »Ja, ich nehme eine ganz kleine Blende«, sagte der Kameramann. »Die Tiefenschärfe ist phantastisch.«
    »Wunderbar.«
    Wochen später im Schneideraum beschlossen der Regisseur und der Cutter, etwa fünfundsiebzig Sekunden dieses Materials mit in die Endfassung des Films hineinzunehmen. Araceli hatte weder die Kamera noch den Schauspieler, noch das Filmteam bemerkt. Sie konzentrierte sich auf die Verfolger und ihre Hoffnung, ihnen zu entkommen. Sie wollten sie packen und ihr die Hände mit Plastikschlaufen fesseln, und trotzdem musste sie beim Rennen immer noch ein Lachen unterdrücken, selbst wenn ihr die Brombeerranken die Beine zerkratzten, sie fand, dass die ganze Jagd absurderweise etwas von einem Schulhofspiel hatte. Es gibt doch leichtere Wege, nach Mexiko zurückzukehren. Sie werden mich packen und durch den Staub schleifen wie ein Kalb beim Rodeo, und dann werden sie mich einsperren. Wir müssen diese Rituale der Erniedrigung ertragen: Das ist der Ruhm der Mexikaner, wir werden öffentlich verfolgt und verhaftet, vor den Augen der Passanten.
    Wenn ihr mich gehen lasst, señores , dann werde ich einfach zur Bushaltestelle gehen und mir eine Fahrkarte in die Heimat kaufen. No les molesto más . Sie waren weit hinter ihr, und einen Augenblick glaubte sie tatsächlich, sie könnte die nächste Querstraße erreichen oder in eine Gasse oder einen Hinterhof schlüpfen, sie könnte ihnen entkommen und ihren eigenen Weg nach Hause finden. Doch sie war keine gute Läuferin. Der erste Polizist verkleinerte den Abstand rasch, er sprintete trotz seiner Jahre mit einer wilden Entschlossenheit, die Araceli überraschte und erschreckte – sein Gesicht wurde dunkelrot, der Schweiß lief ihm in Strömen herab. Als er sie erreichte, rannte er immer noch viel zu schnell, stolperte und fiel auf Araceli, sein Körper drückte ihren platt, als sie beide auf dem Boden landeten, den Mund voller Staub und klebrigem Unkraut.

Drittes Buch
    Circus Californianus
    Ich hab beschlossen, weiter ein schlechtes Leben zu führen … Und gleich als Erstes wollt ich mich ans Werk machen und Jim wieder aus der Sklaverei stehlen …
    Mark Twain, Die Abenteuer des Huckleberry Finn

16 Während der ersten zwei Stunden in Haft verweigerte Araceli die Aussage. Sie war vollkommen staubig, beschwerte sich aber weder über den ersten Polizisten, der sie unsanft zu Fall gebracht hatte, noch reagierte sie auf den Hohn des zweiten, der sie mit den Worten »Jetzt geht’s zurück nach Me-chi-ko, bye-bye!« zum Streifenwagen eskortiert hatte. Araceli schwieg, als sie vor den Augen der Nachbarn abgeführt wurde, die in kleinen Gruppen herumstanden und tuschelten, weil sie aus dem spanischsprachigen Fernsehen von dem Vorwurf erfahren hatten: la secuestradora . Sie holte nicht zum Gegenschlag aus, als ein besonders dummer Gaffer sie auf Englisch anherrschte: »Was hast du mit den Kindern gemacht, du Schlampe?« Sie blinzelte nur zum gleißend hellen Mittagshimmel hinauf, an dem eine Flotte von Fernsehhubschraubern kreiste, die

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