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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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sich wie Hyänen der Meute der Polizeihelikopter angeschlossen hatten. Sie betrachtete die Menschenmenge und erkannte das eine oder andere Gesicht aus dem Lynchmob wieder, der sich am Vorabend vor dem Haus der Lujáns versammelt hatte. Man begegnete ihr mit derselben Mischung aus morbider Neugier und geheucheltem Mitleid, mit der die chilangos für gewöhnlich eine Leiche am Straßenrand begutachteten. Ihr fielen sarkastische Entgegnungen ein, die auszusprechen sie jedoch nicht die Nerven hatte. Ja, seht genau hin, jeder von euch könnte der Nächste sein! Sie sagte gar nichts. Sie brach ihr Schweigen nicht, als ein zweites Polizistenduo ihre Fingerabdrücke nahm und sie in eine Arrestzelle der Polizeiwache in Huntington Park sperrte. Und sie schwieg noch immer, als ein drittes Polizistenpaar sie durch Vororte, über Freeways und Kreuzungen fuhr; ein ferner, riesiger Waldbrand ließ die Luft schwer und undurchsichtig werden, und mit den grauen Dunstschwaden wehte Räucheraroma durch die Stadt. Als sie ihre zweite Zelle in einem Revier im Süden des Orange County erreicht hatte, beschloss Araceli, die Aussage zu verweigern, bis man sie über die Grenze brachte oder mit dem Flugzeug nach Mexico City ausreisen ließ. Am liebsten würde ich natürlich den Flieger nehmen. Sie stellte sich den Weg, auf dem sie in dieses Land gekommen war, unter ihren Füßen vor, diesmal rückwärts: amerikanische Highways, Wüstenpässe, die Städte von Sonora; Mautstraßen durch flache, ausgedörrte Landschaften mit Eichen und Lehmhütten, an denen die Parolen der Präsidentschaftskandidaten prangten; und zuletzt dann das labyrinthische Gassengewirr jener großen Metropole, die früher einmal ihre Heimat gewesen war und die es bald wieder sein würde, jene Stadt der Museen, Galerien und Denkmäler, die Griselda besuchen wollte und doch nicht besuchen konnte.
    Man brachte sie in einen Verhörraum und befahl ihr, Platz zu nehmen. Sie grübelte darüber nach, was sie zu ihrer Mutter sagen würde, wenn sie sie wiedersah, und wie viel Zeit vergehen würde, bis sie wieder neben der alten Frau in der engen Küche stand. Sie fragte sich, ob es irgendeine Möglichkeit gab, ihr Geld von der Bank in Santa Ana zu holen. Nicht ihren gesamten Lohn nach Hause zu schicken, sondern heimlich zu sparen war die Tat eines »bösen Mädchens« gewesen, aber möglicherweise würde ihr dieses Geld jetzt dabei helfen, sich von der Küche ihrer Mutter zu emanzipieren und den Weg zu einem neuen, radikalen, mexikanischen Selbst zu beschreiten. Wenn eine Frau das Gerede der Leute ignorierte, standen ihr in Mexiko alle Möglichkeiten offen; die Treffpunkte der Boheme warteten nur auf Freigeister. Es gab Huatulco und die Hippies an der Küste Oaxacas, Palenque und die Räucherschamanen von Veracruz.
    Unangekündigt traten drei Männer ein: ein Polizist in steifer Uniform aus grobem Wollstoff und mit Messingabzeichen, ein Detective von etwa fünfzig Jahren mit grünen Augen und grau melierten Hosen, der eine Aura gepflegter Langeweile verströmte, und ein elegant gekleideter Mann Mitte dreißig, dessen schmaler Kopf wie ein Baumstumpf aus dem steifen Hemdkragen herausragte und dessen blondes Haar sich über seiner Stirn auftürmte wie eine goldene, auf dem höchsten Punkt erstarrte Welle. Von allen Anwesenden im Raum schwitzte nur der Letztgenannte nicht. Er setzte sich zu Araceli an den Tisch. Die beiden Polizisten versuchten, sich rechts und links neben den eleganten Mann zu zwängen, bis nach einigem Ellenbogenhakeln deutlich wurde, dass der Raum zu klein für sie alle war, kaum größer als der begehbare Kleiderschrank im Paseo Linda Bonita. Beim Versuch, sich gleichzeitig hinzusetzen, stießen die Männer mit ihren Schultern und Brustkörben aneinander. Schließlich gab der Uniformierte auf und stellte sich in die geöffnete Tür.
    »Verdammt, konnten wir nichts Größeres kriegen?«, fragte der junge Mann im Anzug.
    »Budgetkürzung«, antwortete der Mann mit der grauen Hose. »Wir haben um mehr Räume gebeten, da haben sie die vorhandenen einfach geteilt.« Er machte es sich bequem und stellte sich Araceli als Detective Mike Blake vor; bei dem jüngeren Mann im Anzug handelte es sich um Ian Goller, Vertreter der Bezirksstaatsanwaltschaft.
    »Und Sie sind, wenn ich meinen Unterlagen glauben darf, Araceli N. Ramirez«, fügte der Detective in einem ebenso müden wie überraschend charmanten Tonfall hinzu. Er legte einen braunen Umschlag auf den Tisch, zog Aracelis

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