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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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wirkte der Moderator, wie er da saß und gestikulierte, eher wie ein Polizist; wie ein Mann, der selbstbewusst und gnadenlos über seinen kleinen Machtbereich herrscht, der andere einschüchtert mit seiner zackigen Sprache und dem Wissen, dass er sich für nichts würde entschuldigen müssen.
    »Wollen wir unsere Kinder tatsächlich Menschen anvertrauen, die aus einer rückständigen Gesellschaft kommen?«, fragte er in diesem Moment. Das Studio war in New York, aber der Moderator unterhielt sich via Satellit mit dem Journalisten, der Maureen Thompson interviewt hatte. »Zeigt es nicht vielmehr die Schwäche unseres sozialen Gefüges? Es gibt keinen wichtigeren Job. Herrgott noch mal, es geht um die Grundlagen unserer Zivilisation! Die Mutterrolle. Warum überlassen wir sie ausgerechnet diesen hoffnungslos ungebildeten Leuten? Als würde es bloß darum gehen, dass ein paar Tagelöhner einen Graben für uns ausheben! Eines kann ich Ihnen verraten. Ich weiß, dass einige Leute in diesem Land mir widersprechen werden, aber meiner Ansicht nach ist dieses Vorgehen unfassbar dumm.«
    Luz Covarrubias kam herein, gefolgt von Araceli.
    »Octavio!«, rief Luz vorwurfsvoll. » Warum schaust du dir diesen Mann an, wenn er uns doch sowieso bloß hasst? «, fragte sie auf Spanisch und nicht zum ersten Mal.
    »Weil man wissen muss, was der Feind denkt«, antwortete Octavio.
    »Basta« , sagte seine Frau, schnappte sich die Fernbedienung vom Wohnzimmertisch und schaltete den Fernseher stumm. Sie wusste aus Erfahrung, dass ihr Mann die komplette Deaktivierung des Geräts nicht zulassen würde.
    Octavio Covarrubias legte Araceli eine Hand auf die Schulter. »Ese hombre te quiere encarcelar.« Der Mann, der Araceli hinter Gittern sehen wollte, blinzelte stumm in die Kamera und nickte. Mit der nachfolgenden, seltsam anmutenden Kopfbewegung wollte er vermutlich seiner Fassungslosigkeit Ausdruck verleihen. Sein schütteres Haar hatte die Farbe eines Bachlaufs während der Sommerdürre, und seine Lippen verzogen sich zu einem halbherzigen Lächeln, dessen schiefe Form an eine Achterbahn erinnerte. Wie Octavio hinzufügte, sei ese hombre allein womöglich einflussreich genug, sie wieder ins Gefängnis zu bringen. Sein Publikum umfasste Millionen. »No lo entiendo.«
    Octavio eilte hinaus und ließ Araceli mit einem Teller Grillfleisch, den sie sich aus dem Hinterhof mitgebracht hatte, vor dem Fernseher sitzen. Sie hatte diesen Moderator beim spätabendlichen Zappen schon oft gesehen, sich aber nie die Zeit genommen, seine Sendung anzuschauen. In der Nahaufnahme zogen seine Augenbrauen und Lippen eine eigene Show ab. Sie spielten mit der Kamera. Wie komplizierte Bühnenrequisiten schoben sie sich über den eisblauen Augen hin und her, auf und ab. Sie stiegen und fielen und verdrehten sich so, dass sie die Grenzen menschlicher Mimik zu überschreiten schienen. Die Kamera zoomte zurück, und er brachte seinen Körper ins Spiel, indem er sich zurücklehnte und vor Lachen blitzschnell die Backen aufblies. Schließlich schüttelte er den Kopf und hielt das Gesicht mit einer Fünfundvierziggraddrehung in die zweite Kamera.
    Die Vorstellung, das Hirn hinter jener Stirn könnte einen Einfluss auf ihr Schicksal haben, war beängstigend. Hastig griff sie zur Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Das Bild des Mannes zog sich auf einen Punkt in der Bildmitte zusammen und verlosch mit einem elektronischen Ploppen. Gab es da draußen noch andere Augenbrauen, Lippen und Gehirne, die sie wieder einsperren wollten? Was sahen diese Leute in ihr, um sie dermaßen zu hassen? Am liebsten wäre Araceli in ihre Laufschuhe gestiegen und hätte ausprobiert, wie schnell sie laufen konnte, ob es reichen würde, um die uniformierten Verfolger beim nächsten Mal abzuschütteln. Aber nein, sie wollte nicht länger davonlaufen. No voy a correr . Sie würde ausharren und sich vorbereiten. Und zuallererst würde sie sich noch ein Stück Tortilla holen und sich aus dem Rindfleisch auf ihrem Teller einen Taco rollen, denn wenn ein Mann so vorzüglich kochte wie Octavio Covarrubias, dann war es eine Schande, das Essen verderben zu lassen.

20 Vor dem Haus der Covarrubias stand eine hübsche, kleine Latina. Sie war Mitte zwanzig und trug einen schmalen Notizblock in der Hand. Sie hatte schräg stehende, kastanienbraune Augen, rabenschwarzes, dünnes Haar und wurde von einem wesentlich älteren Mann mit groben Gesichtszügen begleitet, der nach Zigaretten roch. Ein so

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