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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Avakian hatte ein Publikum um sich herum versammelt, das er mit Anekdoten aus seinem neuen Söldnerjob als Politikberater/Lobbyist unterhielt. Er kam zu Scotts und Maureens Partys, weil er ihre Arbeitsmoral und ihre Loyalität respektierte: Er selbst besaß von beidem nicht allzu viel. Wenn er da war, bestand sein »Geschenk« darin, die Gäste zu unterhalten und zu erheitern. »Da werde ich also plötzlich ins Büro des Bürgermeisters gerufen. Der Bürgermeister von Los Angeles. Er verabschiedet sich gerade auf Spanisch von irgendwelchen Leuten. Ich sage euch, der Bursche hat einen undankbaren Job. Eine ganze Stadt voller Mexikaner hat ihn ins Amt gewählt – und natürlich glauben die jetzt, ihre große Stunde sei gekommen. Aber das gibt ein Problem: Der Bürgermeister kann sie ja nicht alle zufriedenstellen. Das ist rein rechnerisch unmöglich.«
    Der Big Man wohnte in Los Angeles, in der Westside, doch für die übrigen Gäste war die überbevölkerte Stadt weit weg, und die Anspielung auf die ethnischen Gräben von Los Angeles führte zu einem Augenblick unbehaglichen Schweigens, in dem nur das Lachen und Kreischen der hüpfenden Kinder zu hören waren. In Maureens und Scotts Freundeskreis war jedes Gespräch über ethnische Zugehörigkeiten schon am Rande des guten Tons. Es hatten sich inzwischen mehrere interkulturelle Partnerschaften gebildet, man fühlte sich fortschrittlich und gebildet und hatte seinen Kindern Namen wie Anazazi, Coltrane oder Miró gegeben, was die eigene Offenheit und Neugier auf die Welt widerspiegelte. Man sprach nicht über Hautfarbe und ethnische Herkunft, als würde die bloße Erwähnung des Themas das fragile Bündnis schon wieder gefährden. Das Wort »Mexikaner« klang irgendwie harsch, und einige Gäste sahen sofort zu Araceli herüber.
    Deren Haut war von hellem Kupfer, wie eine frisch geprägte Centmünze, und über ihre Wangen waren einige Sommersprossen verstreut. Zu Aracelis mexikanischen Vorfahren gehörten dunkle Zapoteken und rothaarige Preußen; in ihrer Familie gehörte sie noch zur bleicheren Seite. Hier in Kalifornien auf dieser Party stach sie sofort und unverkennbar als Latina hervor. Sie schien allerdings die Bemerkungen des Big Man im Vorübergehen gar nicht zu hören. Ein paar Gäste warfen einen kurzen Blick auf Scott: Er besaß zwar keine der Eigenschaften, die den Mexikanern seitens der nichtmexikanische Metropolenbevölkerung für gewöhnlich zugeschrieben wurde, aber immerhin hieß er mit Nachnamen Torres. Scott nippte an seiner Sangria, hatte gerade die Augen geschlossen und hörte ebenfalls nicht zu. Stattdessen versuchte er die verschiedenen Früchte der Mischung herauszuschmecken: die Trauben des Weins natürlich, außerdem Orangen und Äpfel. Und ist das Granatapfel? Granatapfel? Da werden Erinnerungen wach.
    »Na, ich glaube natürlich schon, dass ihnen ein Stück vom Kuchen zusteht«, setzte Big Man Avakian seinen Monolog nun etwas versöhnlicher fort, als könnte sich unter seinen Zuhörern heimlich ein Mexikaner befinden. »Aber dieser Bürgermeister, der ist wirklich eine Marke.« Er präsentierte seine Ansichten über die Gerüchte, die das Privatleben des Stadtoberhauptes umrankten, und dann rannte plötzlich Avakians Sohn durchs Publikum: Er war acht Jahre alt, hatte die gleichen Locken und den gleichen runden Bauch wie sein Vater, trug einen Pappmascheehelm, dazu einen Brustpanzer aus Plastik und eine Art Rock aus Pappstreifen, die wie Leder angemalt waren. »Hey, da kommt der Little Big Man!«, rief jemand, und das folgende Gelächter beendete den Monolog des Vaters endgültig.
    Die Erwachsenen suchten den Garten nach ihrem Nachwuchs ab und sahen, dass die Schwerter und anderen Römerrequisiten sich langsam auflösten und den Rasen mit Papier und Pappfetzen übersäten. Sie bissen in ihre Taquitos und schmeckten das gehackte Hühnerfleisch in der roten Sauce, die kräftig mit biologischen chile de arból gewürzt war. Araceli schlängelte sich mit zwei sopes auf dem Tablett zwischen den Besuchern hindurch: Es waren die beiden letzten, und sie versuchte, damit unbehelligt in die Küche zu kommen, um sie dort dreist selbst zu verzehren. Doch gerade als sie sich aus der Gästegruppe löste und über ein freies Stück Rasen schritt, entdeckte sie den Big Man, der abseits stand und zuerst sie direkt anschaute, dann ihr Tablett und die sopes . Er zog fröhlich die Waggonaugenbrauen hoch und streckte ihr die Hände entgegen – mit der einen nahm

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