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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Sasha Avakians trunkenes Schlurfen und der nervöse Blick, mit dem seine Frau den Garten absuchte, die Funktion eines Gesprächsbeitrags, ein Stück Tratsch, über den man nachgrübeln konnte.
    Kurz darauf sprangen die ersten Kinder platschend ins Wasser, und die meisten Erwachsenen schlenderten zum Zaun hinüber, der den Pool umgab. Tyler Smiths Frau zog Bluse und Shorts aus und enthüllte einen einteiligen Badeanzug, den sie darunter trug. Sie legte ihre Sachen ordentlich zusammengefaltet auf den Rasen und folgte ihren Söhnen ins Becken. Da die übrigen Gäste die Gesprächsthemen Geschäft, Politik und Immobilienpreise abgehakt hatten, schauten sie ihr eine Weile schweigend zu, wie sie die Handflächen prüfend aufs Wasser legte, ehe sie elegant hineintauchte. Nach wenigen Minuten bevölkerten ein Dutzend Kinder den Pool, und das Wasser glitzerte auf hellbrauner und gelblicher Haut. Mit ihren afrikanischen, asiatischen und europäischen Gesichtszügen, mit ihren Epikanthus-Falten und stolzen armenischen Nasen, ihren chinesischen Jochbögen und irischen Stirnen, die sich in der Sonne zu tiefem Safrangelb verfärbten, sahen sie aus wie eine Gruppe Kinder, der Marco Polo auf seinem Weg über die Seidenstraße begegnet sein könnte, an einer Kreuzung am Flussufer, wo man Gewürze und Weihrauch gegen Messingtöpfe tauschte.
    Der Big Man stand allein im Garten und hob einen der Helme auf, die ins Gras geworfen worden waren. Er probierte ihn auf: Die Pappmascheeschale umhüllte seine Locken, reichte jedoch nicht bis zu den Ohren, also nahm er sie wieder ab und ließ sie auf den Rasen fallen. Als Nächstes machte er ein paar Schritte auf le petit Regenwald zu und betrachtete die Azaleen, ehe er sich umwandte und Araceli beobachtete, die mitten auf dem Rasen stand und das letzte Tablett Fingerfood herumreichte. Diese Frau sieht elend und einsam aus, als wäre sie gezwungen, in einem fremden Zimmer zu sitzen und der Stille zu lauschen, tagelang, wochenlang, jahrelang. Erneut fiel ihm ihr Lachen ein, und er fragte sich, mit welchen Worten er sie noch einmal zum Lächeln bringen konnte. Was lässt eine Mexikanerin kichern? Worüber vergisst sie ihre Sorgen und zeigt das weiße Glitzern ihrer Zähne?
    Araceli ließ beinahe das Tablett fallen, als sie entdeckte, dass Big Man Avakian sie schon wieder anglotzte, dass seine Mundwinkel sich zu einer idiotischen Mischung aus Ungezogenheit und Begierde verzogen. So lange und offen hatte er sie noch nie angestarrt, und sie erkannte sofort, dass er betrunken war. Jawohl, betrunken, wofür auch sprach, dass er jetzt in den Tropengarten stolperte und eine der Blüten zu küssen versuchte.
    Der Big Man fand sich in der Umarmung der Bananenstaude, entkam ihrem Griff und stellte sich vor die Azaleen und Callas. Jedes Mal, wenn er herkam, bewunderte er eine Weile den Tropengarten, aber heute stimmte irgendetwas nicht. Diese Helikonien brauchen Pflege. Auch die Calla sahen verschrumpelt aus, vom Boden schlängelten sich ein paar Tentakeln der Fingerhirse an den Stängeln hinauf. Was sind das für kleine Dinger, die da wachsen? Saudisteln, Eindringlinge aus der Wüste, blassgrün mit papiertrockenen Blüten, resistent gegen die Dürre. Und guck sich einer diese winzigen Löcher in den schönen Blättern der Bananenstaude an. Der Garten starb, und Big Man Avakian spürte in dem Verfall eine langsame, aber unwiderstehliche Kraft am Werk; vielleicht etwas so Simples wie das Vergehen der Zeit, vielleicht auch eine tiefe, aber unsichtbare Wahrheit über die Familie, in dessen Besitz der Baum sich befand. Ihm fiel einer seiner Lieblingsverse aus Hamlet ein: »… ’s ist ein wüster Garten, der auf in Samen schießt, verworfnes Unkraut füllt ihn gänzlich.« Wie herrlich poetisch, diese Zeilen. Seine Stimme hob sich, als er den Satz mehrmals laut aussprach, und jedes Mal klang seine schlechte Nachahmung des britischen Akzents affektierter, vor allem die Intonation. Er wandte sich den anderen Gästen zu und sprach sie voller dramatischer Inbrunst an.
    »’s ist ein wüster Garten, der auf in Samen schießt, verworfnes Unkraut füllt ihn gänzlich! Ein wüster Garten, der auf in Samen schießt! Dazu musst es kommen!«
    Maureen stand zehn, zwölf Schritte von ihm entfernt und reichte dem Little Big Man am Tor zum Pool gerade ein Handtuch, als sie seinen Vater schreien hörte. »Ein wüster Garten! Pfui darüber! Unkraut erfüllt ihn gänzlich! Ein wüster Garten! Pfui! Pfui! Pfui!« Was sagt der

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