In den Häusern der Barbaren
ragen, die sie hier alle tragen mussten, die Zehennägel frisch lackiert, dunkelrot und orange. Wo kriegen die hier drinnen Nagellack her? Wieso habe ich die Nagellackausgabe verpasst? Ein Pfiff ertönte, und die lackierten Zehennägel rannten davon, verdrängt von den schweren schwarzen Schuhen einer Vollzugsbeamtin. Araceli sah hoch. Vor ihr stand eine muskelbepackte skandinavische Riesin mit blondem Pferdeschwanz. Die Beamtin zog sie hoch, doch Aracelis Kopf wollte lieber unten bleiben. »Wir müssen Sie hier rausschaffen, Mädchen«, sagte die Wärterin. »Stehen Sie auf. Sonst rotten sie sich wieder zusammen.« Aracelis Beine wollten nachgeben, doch die Beamtin ließ sie nicht stürzen, und sie machten sich auf den Weg zurück zu ihrer Zelle. Alle drei Schritte knickte Araceli ein, doch die Frau mit dem Oberkörper eines Gewichthebers hielt sie aufrecht. »Schaffen Sie’s?«, fragte sie.
»Creo que sí« , sagte Araceli.
Sie gingen weiter, die Wärterin legte Araceli den Arm um die Hüfte. Plötzlich hob die Beamtin sie mit einem Grunzen hoch, und alle Gedanken Aracelis wurden ausgelöscht von dem unerwarteten Gefühl, in den starken Armen dieser Frau zu liegen und über die Bodenlinien getragen zu werden. Araceli hätte am liebsten geschnurrt, so gut fühlte sich das an, als die ganze Anspannung in Rücken und Gesicht und der Schmerz der Schläge und Tritte plötzlich von ihr abfielen.
Maureen öffnete um zehn vor fünf die Haustür und rechnete mit Scott, doch stattdessen stand eine ältere, kräftigere und etwas dunklere Version ihres Mannes auf der Schwelle. John Torres hatte einen Koffer in der Hand und den Gesichtsausdruck eines Mannes, der eine Ertrinkende retten muss, die nicht begreift, dass sie nicht schwimmen kann. »Es ist mir nicht entgangen, dass es mit euch ein bisschen bergab geht«, verkündete er. »Darum bin ich wiedergekommen. Und deshalb werde ich bei euch einziehen. Ich nehme das kleine Haus im Garten, wo eure Angestellte früher gewohnt hat, ich nehme mal an, die kommt nicht wieder. Ich bleibe vier Nächte die Woche, mehr werde ich hier nicht aushalten.«
Maureen öffnete den Mund zu einer Entgegnung, fand aber keine Worte, sich dieser Frechheit zu widersetzen.
»Ich kann genauso gut kochen wie jeder andere«, sagte er mit leicht verletzter Entschlossenheit. »Und ganz bestimmt kann ich auch ein Bett machen, was man von meinem Sohn nicht behaupten kann. Abwaschen werde ich nicht, aber ich kriege einen verdammt guten Bohneneintopf hin und auch so ziemlich alles, was diese Jungs zum Frühstück essen. Du kannst deine Jungen bei mir lassen, ich passe auf sie auf, und du kannst dir ein bisschen Zeit für meine Enkelin nehmen, die ja sowieso für das meiste Chaos hier verantwortlich ist, nehme ich an. Und ich würde mal sagen, du könntest auch ein bisschen Zeit für dich gebrauchen, denn um ehrlich zu sein, du siehst ein bisschen abgekämpft aus, Schwiegertochter.« Er musterte sie rasch von oben bis unten. »Ich weiß, so was sollte man einer Frau nicht sagen, aber wir wollen hier nicht um den heißen Brei reden. Ihr braucht die Hilfe. Ihr seid so ausgelaugt wie manche von den Kerlen, mit denen ich Salat gepflückt habe. Ich arbeite gratis. Lasst mich bloß meinen eigenen arroz con pollo essen, mehr verlange ich nicht.«
El abuelo Torres verschwand in der Küche und dann durch den Garten im Gästehaus. Scott entdeckte ihn eine halbe Stunde später, wie er den Kopf in den Kühlschrank steckte.
»Dad? Was ist denn hier los?«
»Ich suche ein anständiges Stück Käse, um den Kindern eine Quesadilla zu machen. Ich finde, die sollten sie heute Abend essen.«
Scott hatte das Gefühl, in einen Albtraum geraten zu sein, in dem er die Szenen seiner Kindheit nun noch einmal durchlebte.
»Mein Vater kocht Abendessen?«, fragte Scott Maureen im Wohnzimmer.
»Und er wohnt bei uns.«
»Hier im Haus?«
»Im Gästehaus, ja.«
»Wieso?«
»War nicht meine Idee.«
»Können wir ihn dazu bringen, dass er wieder geht?«
»Ich denke schon«, sagt Maureen. Sie sog den Duft schmelzenden Käses ein, der aus der Küche herüberwehte. »Aber können wir uns das auch leisten?«
Nachdem er seinen Enkeln und seiner Enkelin eine Platte Quesadillas und Apfelschnitze serviert hatte und nachdem die Jungen gegrinst und »Können wir noch eine, Grandpa?« gerufen hatten, kehrte der ältere Torres in die Küche zurück. Er machte Backofenkartoffeln und Hähnchenschenkel mit Estragon, einfache und herzhafte
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