In den Häusern der Barbaren
Seiten noch zu schrubben. Dafür musst du dich wieder hinknien.«
Die nächsten paar Tage erinnerten Scott und Maureen sich mit ihren Muskeln und mit ihren schrumpeligen, bleichen Händen an ihre Haushälterin, bis die Pflichten vertraut und alltäglich wurden und Aracelis Sonderstellung in ihrem Gedächtnis ganz langsam verblasste.
23 Jemand hat Ihre Kaution bezahlt.« Die Wärterin namens Nansen, die Araceli gestern gerettet und in ihre Zelle getragen hatte, sah ein bisschen enttäuscht aus. »Zehn Riesen, in voller Höhe beglichen.« Araceli ging durch die Flure des Gefängnisses – zum letzten Mal, wie sie hoffte – und fragte sich, wer ihr Wohltäter sein mochte. Ein Mann, ein großer Mann, ein Gringo? Würde diese Großzügigkeit weitere Komplikationen nach sich ziehen? Nachdem man ihr in der Aufnahme ihre Kleidung wieder ausgehändigt hatte, ging sie durch eine letzte Türschleuse in einen Raum, wo die Wärterinnen sich nicht mehr um sie kümmerten: ein Wartesaal mit Plastikstühlen und der Atmosphäre eines schmuddeligen Busbahnhofs. Mitten im Raum stand ein Mann mit dem verlorenen Ausdruck eines Fahrgastes, der seinen Anschluss verpasst hat. Er war dünn, weißhaarig und bleich, etwa fünfzig Jahre alt, hatte grobporige, rötliche Wangen, trug ein braunes Tweedjackett und ein weißes Baumwollhemd, das über der Jeans hing.
Der Mann breitete die Arme aus. »Araceli! Ich warte schon über eine Stunde. Ich bin Mitchell Glass. Von der South Coast Immigrant Coalition«, sagte er. »Wir haben Ihre Kaution bezahlt.«
»Wieso?« Araceli war natürlich klar, dass sie sich eigentlich hätte bedanken sollen, aber ihr Bedürfnis, das Geschehen zu begreifen, war stärker als jede Höflichkeit. Es folgte ein Augenblick unbehaglichen Schweigens, in dem Glass nach einer Antwort suchte.
Dann erläuterte er in langsamen und herablassenden englischen Worten, die erst schneller und respektvoller wurden, als Araceli ärgerlich die Stirn runzelte, dass die Immigrantenorganisation das Geld für Aracelis Freilassung von einer Gruppe namens Immigrant Daylight Project erhalten hatte. Das war ein großer Kreis wohltätiger und toleranter Menschen aus Manhattan, Austin, Santa Monica, Cambridge und vielen anderen Orten. »Normalerweise wird die Kaution für Leute gezahlt, die in Abschiebehaft sitzen. Damit sie rauskommen und unter freien Menschen leben können, während sie Widerspruch gegen die Abschiebung einlegen. Aus dem Schatten ins Tageslicht, verstehen Sie? Daher der Name. Und die Leitung der Organisation fand, angesichts der Aufmerksamkeit, die Ihr Fall erregt, sollte auch Ihre Kaution bezahlt werden. Außerdem war es ja nicht so viel.«
»¿Y qué tengo que hacer?« , fragte sie.
»Sie müssen gar nichts tun«, sagte Glass. »Diese Leute wollen bloß, dass Sie frei sind, während Sie Ihren Prozess führen.«
Araceli wusste nichts davon, aber kurz nach ihrer zweiten Verhaftung hatte das Daylight Project einen ganzen Schwarm E-Mails und Briefe abgeschickt und seine Mitglieder aufgefordert, »Sand ins Getriebe der Vollzugsindustrie zu streuen«, indem man mithalf, »Araceli N. Ramirez zu befreien, das jüngste Mitglied der am schnellsten wachsenden Gruppe unter den Eingekerkerten« – Immigranten ohne Papiere. Die Spendenaufrufe der Gruppe bedienten sich ein wenig zu vieler Sklavereimetaphern, ihr Logo bestand unter anderem aus zerbrochenen Ketten, und in ihren Broschüren bezogen sie sich auf die Underground Railroad, mit der damals den Sklaven geholfen worden war. Eigentlich beschäftigte sich die Gruppe ausschließlich mit Abschiebehäftlingen, die in die Zuständigkeit der Bundesbehörden fielen, und ihr Entschluss, Aracelis Kaution zu bezahlen, kam für Ian Goller und sein Amt daher völlig überraschend. Es war ewig her, dass ein Angeklagter im Orange County die Liberalen in anderen Teiles des Landes hatte zu Kampagnen aufrütteln können. Im Allgemeinen blieben inhaftierte Ausländer, die keine Familienmitglieder draußen hatten, im Gefängnis sitzen, für sie gab es keine Haftprüfungstermine, keine Vorladungen, keine Berufung, keine gekaufte Freiheit.
Im Augenblick jedoch war Araceli eine glückliche und unerwartete Nutznießerin der Bill of Rights , sie konnte die Grundrechte ebenso uneingeschränkt genießen wie die Neuengländer, die sich gegen König George erhoben hatten. Diese erstaunliche Tatsache bestätigte sie sich, indem sie auf dem Weg zum Parkplatz des Gefängnisses die Straße und die parkenden
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