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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Kampfgeist und Zielstrebigkeit begründet, der ihre Arbeit beherrschte; die Knechtschaft am Fließband von Schnellheftern und Terminplänen, die Verhandlungen und Prozeduren, durch die eine arme Seele gezwängt werden musste, ehe sie auf der anderen Seite entweder schuldig oder unschuldig oder in verschiedenen Zuständen rechtlicher Unbestimmtheit herauskamen. Sie hatte diesen Job mit einem Gefühl von Bürgerpflicht angetreten, im Glauben, sie könne das Leid der ihr anvertrauten Angeklagten verringern und ihnen zumindest etwas Verfassungsstolz mitgeben. In dem engen Büro, das sie sich mit zwei weiteren Pflichtverteidigern teilte, hatte sie sich vor diesem Gespräch zehn Minuten lang zum Meditieren hingesetzt und gleich danach eingesehen, dass sie einen anderen Beruf würde finden müssen, in dem sie die Ungerechtigkeiten unserer Zeit direkter angehen könnte. Vielleicht als Lehrerin einer Innenstadtschule, als Gewerkschaftsorganisatorin oder vielleicht auch nur als Hausfrau und Mutter, die ihren Kindern anständige buddhistische Werte vermittelte. Und jetzt saß diese Beschuldigte vor ihr, bereit, für ihr Recht zu kämpfen, und das in einem Fall mit großer Medienresonanz, der vielleicht eine kleine Botschaft an die Stadt und die ganze Nation senden könnte.
    »Ich glaube, Sie können den Prozess gewinnen«, sagte Ruthy Bacalan rasch und voller Eifer. »Bei uns im Büro haben alle erwartet, dass Sie den Deal annehmen.«
    »Wieso sollte man sich schuldig bekennen, wenn man die Tat nicht begangen hat?«, fragte Araceli. »Das ergibt doch keinen Sinn.«
    »Das machen viele Leute. Vieles, was mit Recht und Gerichten zu tun hat, ergibt keinen Sinn.«
    »Was haben Sie vorhin gesagt, licenciada ? Ich will nur sichergehen, dass ich Sie richtig verstanden habe«, sagte Araceli. »Sie sagten, ich könnte dafür bestraft werden, dass ich die Wahrheit sage. Ich meine, wenn ich den Prozess verliere. Denn ich würde ja die Wahrheit sagen – dass ich nicht schuldig bin –, aber man könnte mich trotzdem länger ins Gefängnis stecken, weil ich versucht habe, die Wahrheit zu sagen.«
    »Ja.« Dieses Entsetzen, dachte Ruthy Bacalan, diesen Schock, dass die Grundlagen des Rechts beschmutzt und verspottet wurden – den konnte man auch in den Zügen eines jeden idealistischen Anwalts nach seinen ersten ein oder zwei Wochen als Pflichtverteidiger sehen. »Es gibt da diese wunderschöne Vorstellung: Gerechtigkeit. Unser Wort Justiz stammt von dem lateinischen justitia ; und so heißt es natürlich auch auf Spanisch – justicia .« Mit diesen Sätzen begann Ruthy Bacalan gelegentlich einen Vortrag vor jungen Jurastudenten, aber sie hatte sie noch nie einer Mandantin vorgetragen. »Unser Justizsystem funktioniert wie lauter Rohrleitungen. Bei Fällen wie Ihrem ist das Grundproblem, dass es mehr Angeklagte gibt, als das System bewältigen kann – also wenden wir Anwälte Tricks an, um Sie durchzudrücken. Es gibt allerdings auch eine Rechtstradition, die das ablehnt und sagt, jeder Mensch verdiene ein faires Verfahren. Mein Amt gibt es zum Beispiel nur, weil sich ein armer Mann aus Florida mal hingesetzt und einen Brief an den Obersten Gerichtshof geschrieben hat. Mit Papier und Bleistift. Aus seiner Gefängniszelle. Dank seines Einsatzes wurden die Gesetze geändert, sodass nun jeder Mensch kostenfrei einen Pflichtverteidiger gestellt bekommt. So ein Einzelkämpfer kann also das Recht verändern. Die Geschichte der USA ist voll von solchen Leuten.«
    »Die mexikanische Geschichte auch«, sagte Araceli.
    »Kann ich mir vorstellen.«
    »Ich bin aber keine Kämpferin.«
    »Ich auch nicht. Nicht so richtig.«
    »Aber ich glaube, ich will respektiert werden. Merezco respeto. Und ich möchte auch die Regeln und Gesetze respektieren. Die Regeln sagen, man soll nicht lügen.«
    Vor allem aber widersprachen das Schuldeingeständnis eines delito menor und die Einwilligung in einen juristischen Ablasshandel Aracelis Sinn für Ordnung und Anstand. Es machte die Verwirrung um sie herum nur noch schlimmer: Sie lebte anscheinend in einer Metropole, wo alle einst wohlgeordneten Dinge nicht mehr an ihrem Platz waren. Wenn man nicht in den Vereinigten Staaten wohnt, denkt man bei Kalifornien nie an Durcheinander. Wenn Araceli in ein unordentliches Haus kam, wo die Betten nicht gemacht und das Geschirr nicht gespült war, überkamen sie unweigerlich Enttäuschung und Verlustgefühle. So war sie schon als kleines Mädchen in Nezahualcóyotl gewesen,

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