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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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»Ja, sicher« und ließ sich auf den Zeugenstuhl fallen. Er wurde gebeten, Brandons Erzählung seiner Reise mit Araceli wiederzugeben.
    »Das Viertel, das dieser Junge Ihnen beschrieben hat«, fing der Staatsanwalt an. »Würden Sie sagen, dass es gewisse Ähnlichkeit mit dem Viertel Ecke 39th Street und South Broadway aufwies?«
    »Gewisse Ähnlichkeit, mehr nicht.«
    »Was hat Brandon Ihnen denn darüber erzählt?«
    »Dass es dort schmutzig und schmierig sei. Dass sehr viele Leute dorthin gekommen und wieder gegangen sind. Dass er einen Mann hat schreien hören. Dass er auf dem Fußboden geschlafen hat, neben einem Kind, das Sklave war oder Waise oder so etwas Ähnliches.«
    »Auf dem Fußboden neben einer Waise?«
    »Ja.«
    »Hat er auch etwas über Menschen mit Narben im Gesicht gesagt?«
    »Ja.«
    Als der Staatsanwalt fertig war, erhob sich Ruthy Bacalan zum Kreuzverhör. Sie trug ihre eigenwillige sommerliche Version der Gerichtskleidung: eine weiße Jacke mit golden geflochtenen Epauletten, eine weite weiße Hose und weiße Sandalen. Das Outfit erweckte den Eindruck, die Beschuldigte werde vom Kapitän eines Kreuzfahrtschiffs verteidigt.
    »Ganz allgemein gefragt: In der einen Stunde, die Sie mit Brandon verbracht haben, wirkte er da verängstigt auf Sie?«, fragte sie den Detective.
    »Nein.«
    »Wirkte er eingeschüchtert durch seine Erlebnisse mit der Beschuldigten?«
    »Nein. Eher im Gegenteil.«
    »Im Gegenteil?«
    »Ja, er schien Spaß daran zu haben, die Geschichte zu erzählen. Das war für ihn alles irgendwie, ähm, phantastisch. ›Magisch‹ ist wohl das richtige Wort.«
    »Und wie viel von seiner Geschichte konnten Sie überprüfen?«
    »Wie bitte?«
    »Haben Sie zu ermitteln versucht, wie viel von Brandons Geschichte wahr ist? Haben Sie zum Beispiel jemanden gefunden, der aussieht, als hätte er einen Krieg überlebt, wie die, ich zitiere, ›Flüchtlinge‹, die Brandon erwähnt hat?«
    »Meinen Sie, ob wir die Kriegsflüchtlinge gefunden haben, von denen Brandon uns erzählt hat?«
    »Ja.«
    »Nein.« Zum ersten Mal gab der Detective seine Reserviertheit auf und grinste. »Wussten nicht, wo wir mit Suchen anfangen sollten.«
    »Brandon hat auch etwas von Zeitreisenden erwähnt. In einem Zug.«
    »Ja.«
    »Konnten Sie das verifizieren?«
    »Bei den Zeitreisenden haben wir gepasst, Ma’am.«
    Araceli spürte, dass die Stimmung im Gerichtssaal leichter und entspannter wurde. Der Richter verdrehte die Augen – zweimal! Meine Ruthy gewinnt! Der Staatsanwalt sah nicht mehr ganz so zufrieden aus, er packte seinen Tisch mit beiden Händen, als würde das Gebäude schwanken, als wäre der Gerichtssaal plötzlich auf hoher See und würde von den Wellen geschüttelt. »Brandon hat auch gesagt, sein Bruder habe, ich zitiere, ›Feuer gehalten‹, Zitat Ende. Haben Sie an Keenan Torres-Thompsons Händen irgendwelche Verbrennungen gefunden?«
    »Nein, Ma’am.«
    »Haben Sie irgendwelche Feuer unter der Erdoberfläche gefunden?«
    »Pardon?«
    »Steht in der Aussage. Brandon sagt, er hat Feuer unter der Erde gesehen.«
    »Es wurde offenbar ein Schwein gegart; ein Barbecue. Im Garten des Hauses in Huntington Park.«
    »Und was ist mit dem, Zitat, ›Superhelden‹? Mr Ray Forma?«
    »Wir konnten mit großer Sicherheit feststellen, dass diese Person nirgendwo gesichtet wurde.«
    Der Richter lächelte ebenso amüsiert wie der Detective.
    »Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.«
    Ray Forma klang in Aracelis Ohren wie ein Künstlername. An der Kunsthochschule hatte sie einen Studenten gekannt, der als Clown auf Kinderfesten arbeitete und sich Re-Gacho nannte. »Echt Uncool« war ein typischer Mexiko-City-Clown, der gleichermaßen amüsieren wie nerven konnte und die Mütter mit Doppeldeutigkeiten belästigte, die keines der Kinder verstand. Ja, Re-Gacho hätte hervorragend in diesen Gerichtssaal gepasst, wo sogar der Richter dankbar für die kurze Albernheit der Superhelden und Zeitmaschinen war, am Ende eines langen Verhandlungstages. Man müsste nur noch gelbe und rote Luftschlangen über die Eichenpaneele hängen, Ballons aufblasen und dem Richter einen großen Zylinder aufsetzen. Qué divertido.
    »Die Anklage hat keine weiteren Zeugen«, sagte der Staatsanwalt, worauf die Miene des Richters erstaunt wieder erwachte. Er wurde langsam kahl, er hatte fahle Haut und einen weißen Haarkranz; bis zu diesem Augenblick war der Richter bemüht gleichmütig und freundlich geblieben. Jetzt betrachtete er den sitzenden

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