In den Häusern der Barbaren
Erklärung.
»Ja.«
»Und arbeiten Sie derzeit als ›verdeckter Ermittler‹, wie man das nennt?«
»Ja, Sir.«
»Was bedeutet dieses ›verdeckt‹?«, flüsterte Araceli Ruthy zu. Es klang nicht gut.
»Erzähle ich Ihnen später.«
»Zur Zeit des Vorfalls mit den Torres-Thompson-Kindern waren Sie Streifenbeamter im Revier Laguna Rancho, ist das richtig?«
»Ja.«
Gelenkt von den Fragen des Staatsanwalts, erzählte Deputy Suarez nun, wie er im Paseo Linda Bonita eingetroffen war, in welch verstörtem Zustand er Maureen und Scott angetroffen hatte, wie sie ihr Haus nach Hinweisen auf den Verbleib der Jungen durchsucht hätten, wie Maureen mit der kleinen Tochter auf dem Arm hin und her gerannt sei.
»Hatte die Beschuldigte irgendwelche Nachrichten an die Eltern zurückgelassen?«
»Wir haben keinen Brief und keine Botschaft gefunden, Sir, nein.«
»Die Eltern hatten also keine Ahnung, wo ihre Kinder sind?«
»Das ist richtig, Sir. Und sie waren darum auch ziemlich fertig.«
Als sie diesem Deputy zuhörte, sah Araceli die Ereignisse jenes Tages zum ersten Mal mit Maureens und Scotts Augen. Ihre Arbeitgeber waren im aufgeräumten Haus, das Araceli ihnen hinterlassen hatte, ratlos und verängstigt gewesen. Ich habe vorm Weggehen die Spüle geputzt, aber auf das Offensichtlichste bin ich nicht gekommen: eine Nachricht zu hinterlassen. Ich habe zu dem Durcheinander genauso viel beigetragen wie sie.
Im Verlauf der Sitzung merkte Araceli, dass der Staatsanwalt aus ihren naiven und dummen Aktionen und Versäumnissen eine unheilvolle Geschichte stricken wollte. Er war ein kleiner Mann mit klobigen, abgetretenen Schuhen und zu lose gebundener Krawatte. Jetzt fummelte er an einem Computer und einem Beamer herum und stellte eine Leinwand in der leeren Geschworenenbank auf. Ein Bild erschien, das Video einer Überwachungskamera aus der Union Station, das Araceli, Brandon und Keenan von hoch oben zeigte, wie sie durch den Wartesaal des Bahnhofs liefen. Die glänzenden Fußböden reflektierten das Tageslicht eigenartig grell, sodass die drei in einem bedrohlichen Glühen standen. Der Staatsanwalt ließ einen Detective die Herkunft des Films erläutern und die Bilder kommentieren. »Die Beschuldigte kommt um dreizehn Uhr fünfundvierzig ins Bild … Sie sehen hier die Opfer, die hinter ihr eintreten …«
»Konnten Sie ermitteln, ob irgendwelche Verwandten der Jungen in der Nähe des Bahnhofs wohnen?«
»Nach unserem Kenntnisstand lebt kein Verwandter der Kinder im Umkreis von fünfzig Kilometern um diesen Bahnhof.«
Das Videobild von Araceli drehte den Kopf in verschiedene Richtungen, dachte über den richtigen Weg nach, während die Jungen die hohe Decke betrachteten. Dann ging Video-Araceli ohne ein Wort zu den Jungen aus dem Bild, die beiden folgten eilig. Araceli schaute sich den Film an und sah, was alle sahen: eine ungeduldige Frau, die ohne eine Nachricht aus dem Haus rannte, weil sie die Kinder unbedingt loswerden wollte. Bin ich wirklich so selbstsüchtig und gemein? Aber wieso hatte sie sich überhaupt erst in so eine Lage bringen lassen? Du gehst in die falsche Richtung, Frau! Geh zurück ins Haus und warte! Wieso war sie immer von der Gnade anderer Menschen abhängig? Angesichts dieser dummen Frau auf der Leinwand überkam Araceli eine ohnmächtige Wut, und sie wollte aufstehen und auf Spanglish schreien: Ich bin eine pendeja ! Den Großvater suchen? ¡Pendeja! Doch sie sagte nichts, ließ sich nur plötzlich auf ihrem Stuhl zurückfallen, verschränkte die Arme und schüttelte stumm und heftig den Kopf. »Was ist los?«, fragte Ruthy Bacalan. Man wird diese Frau aus dem Video wieder ins Gefängnis werfen und sie dann in ihre Heimat bringen, mit Plastikfesseln um die Handgelenke, weil sie eine herzlose Idiotin ist. Araceli kämpfte mit den Tränen, sie konnte nicht zulassen, dass diese Leute sie weinen sahen. Jetzt verstehe ich auch, wieso im Gerichtssaal so viele Taschentücher herumstehen. Auf dem Tisch vor ihr stand ein Kasten, ein weiterer auf dem Geländer des Zeugenstands, zwei weitere auf den leeren Bänken der Geschworenen. Die Leute kommen zum Weinen her. Um ihre Dummheiten auf der Leinwand zu sehen und dann zu weinen.
Der Staatsanwalt schaltete den Film aus, der Detective verließ den Gerichtssaal, und der nächste Zeuge trat ein.
Detective Blake marschierte durch den Zuschauerraum wie ein Mann mittleren Alters, der es eilig hatte. Er trat in den Zeugenstand, bestätigte die Eidesformel mit
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