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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Zeit, bevor Araceli zu ihnen gekommen war, an das erste Jahr im Paseo Linda Bonita, als die Insekten während einer sommerlangen Belagerung Maureen an den Rand des Auszugs gebracht hatten. Die Hilflosigkeit den Ameisen gegenüber hatte sie schließlich überzeugt, dass sie eine Haushälterin brauchte, und sie hatte verschiedene Frauen ausprobiert, die sich mit den Ameisen ebenso vergeblich abmühten wie Maureen, bis sie Araceli fand. Jetzt argwöhnte Maureen, dass Araceli heimlich irgendein durchschlagendes Dritte-Welt-Gift eingesetzt und sich eigenmächtig über Maureens Anweisung, keine giftigen Chemikalien zu verwenden, hinweggesetzt hatte. Ein oder zwei Tage suchte Maureen alle Vorratsschränke und Regale in Küche, Waschküche und Garage nach der Flasche oder Dose mit dem Zaubermittel ab, doch sie konnte keine finden. Maureen kam letztlich zu dem Schluss, dass Araceli die Ameisen schlicht durch extreme Wachsamkeit besiegt hatte. Sie hatte offenbar die tägliche Pflege aller ameisengefährdeten Oberflächen nie vernachlässigt, die Müllberge nicht wachsen und niemals Essensreste auf dem Boden liegen lassen. Maureen fehlte die Energie, dieses Verhalten nachzuahmen, genau wie ihrem neuen Haushaltshelfer, ihrem Schwiegervater. Der alte Herr kochte, kümmerte sich – in gewisser Weise – um die Kinder und machte die Betten, aber den Fußboden wischte er nicht, so viele Anspielungen Maureen auch fallen ließ. Wahrscheinlich hält er Wischen für Frauenarbeit.
    Schließlich wischte Maureen Küche, Bad und Wohnzimmer eines Abends selbst, als Samantha schon schlief und Scott den Jungen in ihrem Zimmer vorlas, und einen Augenblick lang fühlte sie sich durch den künstlichen Zitronenduft und das feuchte Glänzen der Fliesen wie neugeboren. Beim Wischen bemerkte Maureen verblassende Kreidelinien am Fuß mehrerer Wände und fragte sich, ob Araceli sie wohl aus irgendeinem Grund dort angebracht hatte und was sie bedeuteten. Sie hatten etwas von Kornkreisen, fremdartige Erscheinungen mit geheimnisvollem Sinn, und waren ein weiteres Beispiel für die vielen kleinen Spuren, die Araceli im Haushalt hinterlassen hatte – wie etwa der lösliche Kaffee, den sie im Kühlschrank aufbewahrte, oder das Basilikum, das in einer Wasserschale am Küchenfenster stand. Basilikum? Soll das ein Heilmittel sein? Aber wofür? Maureen wischte die Kreidelinien mit der gleichen Beharrlichkeit weg, mit der ein Schüler eine falsche mathematische Gleichung von der Tafel wischt.
    Als Maureen am Morgen nach dem ersten Wischfeldzug aufwachte, hoffte sie auf ameisenfreie Oberflächen. Stattdessen fand sie einen neuen Pfad in die Küche, der sich verzweigte: Eine Spur verlief in die Speisekammer, wo die Ameisen ein altes Baguette verspeisten. Eine weitere Linie führte vom Garten unter der Schiebetür hindurch ins Wohnzimmer, quer über einen der ehemaligen Kreidestriche von Araceli hinweg. Maureen folgte der Spur zu den Überresten einer toten Heuschrecke, die irgendwie hinter die Bücherregale geraten war. Das halte ich nicht mehr aus. Sie konnte den Anblick der widerwärtigen, schmutzfarbenen Gliederkörper nicht mehr ertragen. Mehrmals am Tag spürte sie eine oder zwei Ameisen über ihre Beine oder Arme krabbeln, in Richtung Hals und Brüste, und sie phantasierte schon davon, wie sie das Nest der Kolonie finden und in einer verheerenden Attacke vernichten würde. Schließlich betrat sie am Nachmittag einen Gang zwischen den Supermarktregalen, den sie bisher vermieden hatte, und kaufte zwei verschiedene Dosen Gift. Als sie nach Hause kam, wollte sie die Chemikalien unbedingt sofort verwenden und schaffte nicht einmal die Kinder aus dem Haus, ehe sie zu sprühen anfing.
    Am Abend bewaffnete sich Maureen ein weiteres Mal mit der Sprühdose und war entschlossen, alle Ameisenkundschafter oder -pfade aufzuspüren, die ihr beim ersten Versuch entgangen waren. Sie wanderte durch die betroffenen Räume, als das Telefon klingelte.
    Scott nahm in der Küche ab. »Hallo, Mr Goller«, sagte er. Maureen hörte zu und betrachtete Scott dabei im Profil, der ihr Lauschen entweder nicht bemerkte oder sich nicht stören ließ.
    »Nein. Das werden wir nicht tun … Wir wollen wirklich nicht dabei sein. Nein. Wir haben unsere Aussagen gemacht … Tun Sie das ruhig, und wenn Sie uns zwingen, werden wir da sein. Und wissen Sie was: Wir haben ziemlich deutlich gemacht, was genau geschehen ist … Das bedeutet, dass wir getrennt voneinander weggefahren sind und nicht …

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