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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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geschah, konnte man immer noch einen anderen illegalen Einwanderer verhaften und mit dem einen öffentlichkeitswirksamen Fall inszenieren, irgendwann, das war unvermeidlich. Allerdings konnte man sich nur schwer einen so perfekten Fall vorstellen wie den der zwei hübschen Jungen, die von ihrem humorlosen Kindermädchen verschleppt wurden.
    Ian Goller hatte den Kofferraum geschlossen und überlegte, wie er am schnellsten ans Meer kam, als sein Telefon schon wieder eine SMS ankündigte.
    Araceli bemerkte Goller nicht, als sie den Gerichtssaal verließ. Sie betrat einen Korridor und ging einen Schritt hinter Ruthy Bacalan, die das Handy am Ohr hatte und hineinsprach. Sie bogen in einen langen Gang, wo ihnen ein Mann und eine Frau rückwärts entgegenkamen – erst nach einem Augenblick erkannte Araceli, dass es Fotografen waren, die ihre Objektive auf ein Motiv gerichtet hatten, und dieses Motiv ging auf sie zu, weshalb sie rückwärtsliefen, als gäbe es nichts Natürlicheres auf der Welt.
    Die trittsicheren Fotografen waren gerade an Ruthy und Araceli vorbeigetanzt, und die beiden Frauen waren allein im Korridor mit dem Motiv: einem Mann mit saphirblauen Augen und hellem, sonnengeküsstem Teint, dessen Haar aussah wie ein Weizenfeld von van Gogh an einem seiner helleren Tage. Es war ein Filmstar der allerersten Kategorie, international berühmt und umschwärmt, und er war im Gericht, weil er gegen einen besonders nervigen Paparazzo aussagen und ihn verurteilt sehen wollte. Beim Anblick dieses A-Prominenten blieben sowohl Ruthy als auch Araceli mitten im Flur stehen, um ihn zu bewundern. Plötzlich entdeckte auch er Araceli und bremste seinen Schritt.
    »Hey, ich kenne Sie«, sagte er zu Araceli. Er streckte die Hand aus und schüttelte ihre. »Ich habe Ihren Fall verfolgt«, sagte er.
    »¿De veras?«
    »Ja, wirklich.« Er zeigte sein spektakuläres Lächeln und fügte hinzu: »Ich wollte nur sagen: Viel Glück, señorita .« Der Tonfall dabei schien ganz bewusst James Stewart oder Cary Grant oder sonst einen Star einer längst vergangenen Epoche zu imitieren, und einen Augenblick später war auch er Vergangenheit und eilte den Gang entlang zum Saal 186 B , um der Verurteilung eines Mannes beizuwohnen, der von nun an die Schönen und Reichen von Laguna Beach, Brentwood und Bel Air nicht mehr verfolgen würde.
    »Wow«, sagte Ruthy mit einer Hand vor der Brust.
    » Sí , wow«, stimmte Araceli zu.
    Wie in Trance gingen sie weiter zum Eingang und hinaus auf die Plaza, wo die gleißende Helligkeit von langen Schatten durchzogen wurde. Keiner der Reporter in der Mitte des Platzes hatte bemerkt, dass Araceli unter ihnen war. Fünf von ihnen standen im Halbkreis beieinander, redeten und betrachteten die schwarzen Quader, die sie in den erhobenen Händen hielten wie Hamlet einst den Schädel seines armen Freundes Yorick, und mit den Daumen riefen die Journalisten die Neuigkeiten der Tragödie auf. Eine Mädchenleiche war aus einem Koffer im See geborgen worden, die Stiefmutter wurde verhaftet, und Ian Goller raste zum Fundort. Die Reporter fragten sich, wo sie als Nächstes hingeschickt würden, denn in einem solchen Augenblick wurden sie alle gebraucht. Araceli wusste das nicht und nahm einfach an, sie wären ihrer überdrüssig geworden, und sie wunderte sich über die Wankelmütigkeit und die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Reporter. Keiner von ihnen hatte gesehen, wie Ruthy in ihrem weißen Seemannsdress im Gerichtssaal 181 die Anklage in der Luft zerrissen hatte.
    Araceli verabschiedete sich von Ruthy und ging zum Parkplatz, wo Felipe auf sie wartete. Vier Stunden hatte er gewartet, in der Kabine seines Pick-ups gesessen und gezeichnet, doch als er sie kommen sah, warf er Block und Bleistift rasch nach hinten. Sie fuhren zurück nach Santa Ana, sie erzählte ihm, wie Ruthy den Staatsanwalt auseinandergenommen hatte, und als sie bei den Covarrubias ankamen, brachte er sie zur Tür und verabschiedete sich ganz keusch, als würde er andere, tiefere Emotionen zurückhalten, die er eigentlich ausdrücken wollte, aber sich nicht traute. Irgendetwas musste als Nächstes zwischen ihnen passieren, und Araceli fragte sich, ob Felipe es wohl zulassen würde.
    » ¿Mañana? Zur selben Zeit?«, fragte er.
    »Ja. Aber nur, wenn du willst.«
    »Ich will. Wirklich. Ich habe im Moment keine Arbeit – um diese Zeit lässt es ein bisschen nach. Aber selbst wenn, würde ich hier sein, porque es importante. «
    »Hasta mañana

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