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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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wenn Sie mich bitte ausreden lassen wollen … Ja, das könnte man wohl sagen, aber über Peinlichkeiten sind wir längst hinaus … Nein, meine Frau wird auch nicht … Richtig … das Jugendamt war bereits hier … das war ein sehr angenehmer Besuch … Ich hatte jedenfalls ganz deutlich den Eindruck, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen … Tut mir leid, Mr Goller … Ich finde, das wäre eine Ungerechtigkeit, Mr Goller. Im höchsten Maße ungerecht, aus Gründen, die ich hier eigentlich nicht auszuführen brauche … ich verstehe schon, was die Gesetze sagen, ja … ich muss jetzt Schluss machen, Mr Goller … die Kinder, wissen Sie, das Abendessen … Auf Wiederhören, Mr Goller … Auf Wiederhören.«
    Zum ersten Mal seit dem Abend, als er sie geschubst hatte, ließ Maureen die Augen auf ihrem Mann ruhen. Er war genauso erschöpft wie sie, aber auch ganz und gar gegenwärtig. Seine hellbraunen Augen glommen genauso friedlich und intensiv wie die einer Frau in den Tagen nach der Geburt. Männer sehen nicht oft so aus. Irgendwie hatte Scott von einem Augenblick auf den nächsten begriffen, dass sie nicht mehr auf Gedeih und Verderb der melodramatischen Maschinerie von Medien und Strafjustiz ausgeliefert waren. Die Erkenntnis hatte ihn so heftig und intensiv getroffen, als hätte er beim Programmieren plötzlich ein entscheidendes Problem gelöst. Diese Staatsanwälte und Bürokraten haben keine Macht über uns. Keine. Wir haben nichts Verwerfliches getan. Wir sind genauso unschuldig wie Araceli. Oder etwa nicht? Ab und zu konnte ihr Mann sein Denken so einfach umstellen, als würde er lediglich sein Gewicht von einem Bein aufs andere verlagern. Ganz plötzlich fiel ihm irgendeine Lösung in den Schoß, nur weil er aus der Schachtel eines Problems herausgeklettert war und es aus völlig anderem Winkel betrachtet hatte. Da kann er etwas, was ich nicht kann.
    Sie sah ihn an und sah die Möglichkeit, dass ihre ursprünglichen, einfachen und undefinierbaren Gefühle für ihn zurückkehren könnten.
    »Ist es jetzt vorbei?«, fragte sie.
    »Ich glaube schon.«
    »Wirklich?«
    »Ich glaube nicht, dass er uns noch mal anruft.«
    »Gott sei Dank.«
    Sie hatte immer noch die gelbe Sprühdose in der Hand, deren metallene Haut mit Insektenbildern verziert war und mit tausend winzig kleinen warnenden Worten.
    Nach mehreren Aufenthalten in Gerichtssälen, Polizeiwachen und Gefängnissen hatte Araceli begriffen, dass die Amerikaner die Justiz vor allem mit zwei Architekturstilen verbanden: strengen Betonwürfeln, wo Wände, Fußböden, Decken und Gänge zu einer einzigen glatten Oberfläche verschwammen; oder der dunklen Gemütlichkeit von Holzvertäfelung, die an geheimnisvoll schattige Wälder denken ließ. Das neue Gerichtsgebäude in Laguna Niguel hatte von beidem ein bisschen, und die Stimmung war so düster wie an den anderen Orten auch, trotz der Anwesenheit großer Latino-Familien mit Kindern, die in manchen Fluren auf den Bänken saßen und mit Autos und Puppen spielten. Die Mienen der Frauen und Mütter sagten: Hier muss ich mich also von meinem viejo verabschieden. Adiós, pendejo , und klar, ich kümmere mich um die Kinder, was soll ich denn wohl sonst tun, verdammt? An diesem Ort, verstand Araceli, wurden die Verdammten vorübergehend aus ihren Verliesen entlassen, um sich unter die Nichtverdammten zu mischen. Die Anwesenheit der inhaftierten Väter und Brüder, der Anblick der Fesseln und der typischen Einteiler ließ alle anderen in Schwermut versinken. Die Düsternis legte sich auf die Gesichter der Mütter und Töchter, der Richter und Anwälte, auch auf die von Staatsanwalt Arnold Chang und Pflichtverteidigerin Ruthy Bacalan, von deren Wangen der Glanz der Schwangerschaft gewichen war und die, als sie sich nun mit Araceli an einen Tisch vorm Richterstuhl setzte, irgendwie älter aussah. Auch in der Miene des ersten Zeugen bei Aracelis Vorverhandlung lag eine gewisse Traurigkeit. Es handelte sich um einen Polizisten, den Araceli noch nie gesehen hatte.
    Deputy Ernie Suarez trug im Zeugenstand keine Polizeiuniform, sondern Jeans und ein kurzärmliges Baumwollhemd, das seine ziemlich ausladende Muskulatur zeigte. Er trug einen kleinen Ring im Ohr, der wohl männlich wirken sollte, aber genau das Gegenteil bewirkte, fand Araceli. Nur das Abzeichen am Gürtel ließ seine Zugehörigkeit zum Stamm der Gesetzeshüter erkennen.
    »Sie sind im Augenblick im Dienst?«, fragte der Staatsanwalt zur

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