In den Häusern der Barbaren
kleinen Bruders abgab, beendeten die Eltern ihr Schweigen, mit dem sie Araceli zuvor lange angeklagt hatten.
Felipe war sicher ebenfalls eine Künstlerseele und hatte seinen Lebenstraum opfern müssen. »Du siehst intelligent aus, darum habe ich dich zum Tanzen aufgefordert«, hatte er gesagt. Ihr Gefühl sagte, dass Felipe sich längst mit dem arrangiert hatte, womit Araceli nur schwer leben konnte; er konnte Kunst schaffen, ohne die Ungerechtigkeit zu spüren, die an Araceli nagte, wenn sie an ihre Mutter und an das Instituto Nacional de Bellas Artes dachte.
Am späten Nachmittag, als Araceli das Abendessen fast fertig hatte und den Tisch decken wollte, fiel ihr auf, dass sie in Gedanken Maureens Silberbesteck – Messer, Gabeln, Löffel – beim Polieren auf dem Küchentisch zu Mustern arrangiert hatte: ein Stern, ein paar sich überlagernde Dreiecke, ein Pfeil. Einen Moment lang sah sie eine Skulptur vor sich, ein ironischer Bezug auf das verschnörkelte Design der Griffe: Sie stellte sich vor, die Gabeln, Messer und Löffel mit einem Schweißbrenner zu verschlungenen Gebilden zusammenzufügen, die an Macheten und Pflüge erinnerten. Das würde Spaß machen, aber auch viel Geld kosten. Sie rieb einen Fleck an einem Löffel weg, der ihr beim ersten Putzen irgendwie entgangen war, als sie die Haustür zuschlagen hörte, so hart, dass das Geschirr im Schrank leise klirrte. Was war das denn? Wieder einer der Jungen?
Nach ungefähr einer Minute hörte Araceli laute Stimmen, el señor und la señora schrien einander an. Das übliche Hin und Her aus Schimpfen und Flehen, die Stimmen drängten sich durch die geschlossene Tür, ein wütendes, geschlechtsloses Sirren. Sie dachte einen Augenblick an das Hausmittel Basilikum, überlegte es sich aber anders: Das Streiten gehörte zum natürlichen Rhythmus der beiden, war eine Art Ventil; sie stritten sich, und ein oder zwei Tage später sah Araceli, wie Scott seiner Frau den Rücken streichelte oder Maureen nach seiner Hand griff, während sie den Kindern beim Spielen im Garten zuschauten. Nachdem sie die Torres-Thompsons nun mehrere Jahre beobachtet hatte, nahm sie die Auseinandersetzungen als eine Art Dünger der Ehe wahr, wie Mist: Sie waren unschön, man wich vor dem ekligen Geruch zurück, aber sie schienen nötig zu sein. Sie lauschte, wie das Geschrei weiterging und lauter wurde, sodass sie bald einzelne Sätze verstehen konnte: »Weil du einfach vernünftiger sein musst!«, »Demütige mich nicht!« und schließlich ein lachend gebrülltes »Pepe? Pepe?!«. Jetzt war Aracelis Neugier geweckt, sie musste sehen, was da vorging, also stieß sie die Schwingtür zum Wohnzimmer auf, allerdings etwas zu fest, weshalb die Tür sich mit unbeabsichtigter Dramatik weit öffnete und das Geschrei sofort unterbrach – Scott und Maureen wandten sich zu ihr um, beide mit wutroten Schläfen und Wangen. Das war nicht Aracelis Absicht gewesen; sie hatte nur deutlicher hören wollen, was sie sagten, nicht den Streit beenden. Ein Blick auf ihre Arbeitgeber zeigte ihr, dass dieser Streit deutlich heftiger war als alle anderen zuvor, dass die Worte, die zwischen ihnen fielen, sie einer körperlichen Eskalation schon gefährlich nah gebracht hatten. Scott stand mitten im Wohnzimmer, die Arme angespannt an den Seiten, und als er sich Araceli zuwandte, sah sie einen Gesichtsausdruck, den sie kaum einordnen konnte: Hier spürte ein Mann, wie ihm seine Macht entglitt, er hatte die Augen weit aufgerissen, um das Zimmer und die Frau vor sich genau zu sehen, als hätte er sie noch nie wahrgenommen. Wenige Schritt entfernt saß Maureen auf dem Sofa vor dem Couchtisch mit der gläsernen Tischplatte, die Beine übergeschlagen und die Arme verschränkt, in jenem fragilen Seelenzustand zwischen amüsiert und ängstlich. Araceli spürte, wie sie sich mit aller Macht einzureden versuchte, das Geschrei ihres Gatten sei nicht gefährlicher als das Grummeln ihres Achtjährigen.
Araceli zog die Augenbrauen hoch und wollte sich gerade wieder abwenden, als etwas geschah, was noch nie geschehen war: Sie stritten weiter, ohne sich um Aracelis Anwesenheit zu scheren. Scott hob den Zeigefinger und sagte: »Sei bloß vorsichtig, sag jetzt kein einziges beschissenes Wort mehr.« Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Er schreit sie an, obwohl ich zusehe. Maureen stand auf und ging auf Scott zu, worauf Araceli sich umdrehte und mit der gleichen Geschwindigkeit und Abscheu das Zimmer verließ, mit der man den
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