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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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weil er vor seinen Untergebenen gedemütigt worden war, und Maureen hatte die Oberhand gewonnen, weil sie die Diskussion auf Scotts Versagen als Ehemann und Partner lenken und auf das grundsätzliche Problem seiner emotionalen Distanz verweisen konnte. Sie hatte das Gespräch bis nach South Whittier zurückgeführt, in das traurige kleine zweistöckige Haus aus dünnen Holz-Gips-Wänden, das Haus mit den kleinen kastenförmigen Zimmern, in denen Spiegel an den Wänden hingen, um sie größer wirken zu lassen. Sie hatte das Pech gehabt, dieses Anwesen zu besuchen, als ihre Verliebtheit auf dem Höhepunkt war, sie hatte den Familiensitz der Torres-Thompsons in all seiner verblichenen Mittelschichtpracht präsentiert bekommen, und gestern Abend hatte sie ihren Mann auf diverse Wahrheiten hingewiesen, die zu sehen er sich bisher geweigert hatte, lange zurückgehaltene, nie ausgesprochene Erkenntnisse über jene spröde Frau, deren Ermahnungen der Quell aller Ambitionen und aller Selbstzweifel Scotts waren. Jetzt, im Morgenlicht, wurde Maureen klar, dass es nicht sehr klug gewesen war, ihre Schwiegermutter in den Streit einzubeziehen: Die Wut, die sie damit entfacht hatte, war absolut vorhersehbar gewesen – nicht jedoch das Folgende. Scott hatte zwei entschlossene, irrationale Schritte auf sie zugemacht und sie mit seinen kräftigen Unterarmen und Händen attackiert, sie durchs Zimmer gestoßen, rückwärts auf den Tisch. Es hatte diesen einen Augenblick verblüffender Hilflosigkeit gegeben, als sie das Gleichgewicht verlor und der Tisch unter ihr zusammenbrach und zerbarst, Sekunden später abgelöst von einem Augenblick der Klarheit, dem plötzlichen Erkennen einer lange unterdrückten Angst.
    Ich habe immer damit gerechnet, dass er so was macht.
    Vielleicht hatte sie schon bei ihrem ersten Date gemerkt, dass sich unter dem nervösen, in verwaschene Baumwolle gekleideten Äußeren von Scott Torres ein brodelndes Innenleben verbarg. Das hatte schließlich zu großen Teilen seine Anziehungskraft ausgemacht, nicht wahr? Ehe sie in das Haus seiner Kindheit nach South Whittier eingeladen worden war, hatte sie vor allem die qualvollen Bemühungen eines Künstlers gesehen, der nach Vollkommenheit suchte, auch wenn er nur einen Bruchteil der sprachlichen und sozialen Fähigkeiten besaß, die wirkliche Maler, Schauspieler, Schriftsteller ausstrahlten. Er litt daran, seine Geschöpfe zur Welt zu bringen, und wenn sie nicht gelingen wollten, dann konnte er so wütend werden wie ein Teenager. Seine Tagträume waren seine besten Freunde und Gefährten, seine Projekte ließen seine Augen oftmals verschmitzt funkeln. Das hatte Charme, fand sie: ein Mann, dessen Genialität darin bestand, dass er sich mit Problemen beschäftigte, die sich nicht leicht in Worte fassen ließen. Ich mache dich zu meinem Projekt, Scott Torres. Wie eine Zauberin hatte sie sich diesen schüchternen Mann geschnappt und ihm immerhin ein gewisses Maß an Charme verliehen und einen Zuwachs an Familienvermögen. Und jetzt hatte er es ihr mit der gleichen gewöhnlichen Gewalt gedankt, die Frauen in Frauenhäuser trieb. Stunden später spürte sie seine Attacke immer noch knapp unterm Schlüsselbein und sah die beiden Blutergüsse, die auf ihrer Haut zu treiben schienen wie Quallen auf der Meeresoberfläche.
    Vaterschaft trieb Männer zu solchen Dingen. Sie waren nicht darauf vorbereitet. Nachdem die Jungen geboren waren, starrte Scott manchmal auf das Durcheinander der Babysachen im Haus und auf die Spuckflecken auf ihren Teppichläufern und Kleidern. Er bekam dann den hasserfüllten Blick eines Strafgefangenen. Was? Hast du gedacht, es wird alles ganz leicht? Dieses schwere Gefühl um die Augen, dieser Schmerz in den Armen, das nennt man Elternschaft, und die ist schon lange nicht mehr das alleinige Privileg der Frauen. Es hatte vereinzelte Momente der Aggression gegeben, wenn seine kleinen Jungen kleinere Sünden begingen, als Brandon zum Beispiel mit zwei Jahren entdeckt hatte, dass man mit Filzstiften ganz wunderbar die frisch gestrichenen Wände verunstalten konnte, oder als Keenan ein Weinglas zu Boden geworfen und Scott übertrieben laut »Nein!« gebrüllt hatte. Nach der Hälfte ihrer Schwangerschaft mit Samantha hatte er einmal mit der Faust einen Krater in die Wand geschlagen und ihn eine Woche lang unrepariert gelassen und nie erklärt, was ihn eigentlich so erzürnt hatte. Es stimmt, was meine Mutter gesagt hat. Du glaubst manchmal, du kennst

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