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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Sie waren durch verschiedene Softwarefirmen gedriftet, auf der Suche nach einem Job, der die höchste Bezahlung bei niedrigster zu erwartender Arbeitsleistung bot; sie sahen die Programmierplackerei bei Elysian Systems als notwendigen Kompromiss mit ihrem freigeistigen Hackerethos. Darum habe ich sie ja auch eingestellt: weil ich ein Stück von mir in jedem von ihnen gesehen habe. Ich wollte mich mit mir selbst umgeben. Wenn man die Gruppe in Fahrt bringen wollte, musste man nur über Open Source reden, über die Mauern, welche die Großunternehmen um ihre Codes errichtet hatten. »Es gibt alle möglichen Programmiersprachen, die Welt ist voll davon, aber sie sind nicht zugänglich«, sagte Jeremy Zaragoza, ein dünner Achtundzwanzigjähriger unbestimmbarer Herkunft. »Und darum kann der Durchschnitts-User irgendwo in der Vorstadt nicht einfach die Motorhaube aufmachen und an seinem Code herumbasteln.« Scott hatte inzwischen leider die Nase voll von derartigen Gesprächen – seit zwei Jahrzehnten hörte er mehr oder weniger dasselbe –, also sagte er nichts, und schließlich verebbte das Gerede, wobei ihre stumme Zusammenkunft von den Geräuschen eines Fußballspiels begleitet wurde, das im Hintergrund in einem Fernseher lief. Die Programmierer spielten still mit verstreuten Pommes frites herum und klirrten mit ihren Eisteegläsern, während der Kommentator schrie: »Drehen! Schießen! Tor!«
    »Hey, mein Neunjähriger hat neulich was richtig Witziges von sich gegeben«, sagte Mary Dickerson unvermittelt und schreckte damit die Runde auf. Sie war eine unattraktive Frau mit rauer Stimme, nach Scott die Älteste im Team.
    »Nämlich was?«, fragte Scott, der Einzige am Tisch, der ebenfalls Kinder hatte.
    »Ich nehme an, er hat wohl ziemlich oft mir und meinem Mann zugehört, er hat nämlich gefragt: ›Mommy, was ist der Unterschied zwischen einem Trottel und einem Idioten?‹«
    »Gute Frage!«
    »Habe ich mir auch schon oft gestellt!«
    »Und was hast du ihm geantwortet?«
    »›Also, Patrick‹, habe ich gesagt, ›ein Trottel ist jemand, der irgendwie weiß, dass er dumm ist, dem es aber egal ist. So wie der Narr früher am Hof beim König, weißt du? So jedenfalls verstehe ich das Wort. Und ein Idiot ist jemand, der, wie soll ich sagen, der irgendwie krank ist. Der nicht anders kann, als dumm zu sein. Was von beidem schlimmer ist, muss jeder für sich entscheiden.«
    »Gute Antwort!«
    »Bei uns im Haus darf man das Wort ›dumm‹ nicht gebrauchen«, sagte Scott und verdrehte die Augen.
    »Und was hat dein Junge dazu gesagt?«
    »Er meinte, er fände es schlimmer, ein Idiot zu sein. Und dann hat er weiter mit seinem Gameboy gespielt.«
    Kurz darauf kam die Rechnung, die bei fast allen Programmierern Strecken, Seufzen und Gähnen hervorrief. Als die Kellnerin mit Scotts Kreditkarte im Lederfutteral zurückkam, war Mary Dickerson schon aufgestanden und bereit zu gehen.
    »Tut mir leid, aber die Karte ist nicht akzeptiert worden«, sagte die Kellnerin mit einer nüchternen Direktheit, die in krassem Gegensatz zu der fröhlichen Aufmerksamkeit stand, mit der sie vor zwei Stunden die Bestellung aufgenommen hatte. Sie war eine große Schwarze Mitte vierzig, und nach der Hälfte ihrer Schicht war ihre Safariuniform inzwischen von Soßen- und Kaffeeflecken übersät; ihr plötzlich so strenges Auftreten brachte die Programmiererprozession Richtung Ausgang zum Halten.
    »Was ist los, Scott?«, fragte Mary Dickerson, eher als Tadel denn als Frage gemeint.
    »Sind Sie sich sicher?«, fragte Scott die Kellnerin.
    »Ja, Schätzchen. Bin ich. Wollen wir es mit einer anderen versuchen?«
    Scott klappte seine Brieftasche auf und überschaute rasch die verschiedenen Plastikausweise seiner Kreditwürdigkeit und die Familienfotos, die darin steckten. Er kam zu dem Schluss, dass er besser keine weitere Blamage mit seiner zweiten Karte riskieren, sondern vielmehr am nächsten Geldautomaten Bargeld ziehen sollte. Er schaute seine bereits stehenden Angestellten an, die ihn alle anglotzten, wie man in der Highschool einen zweitrangigen Vertretungslehrer anglotzt. Ihm fiel ein, dass sich ein Geldautomat gleich am anderen Ufer des Asphaltsees befand, auf dem dieses Restaurant und ein Dutzend weiterer Geschäfte schwammen. Scott würde in seinen Wagen springen, zum Automaten fahren und wäre in kaum zwei Minuten wieder hier. »Ich bin gleich wieder da«, sagte er zur Kellnerin.
    »Wie bitte?«
    »Muss nur rasch Geld ziehen.« Er

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