In den Häusern der Barbaren
spürte, wie das Unwohlsein seiner zwangsweise versammelten Untergebenen ihn aus der Tür trieb. »Setzt euch. Geht nicht weg.« Mary Dickerson starrte ihm mit offenem Mund empört hinterher, als er hinauseilte.
Als er sechs Minuten und fünfundvierzig Sekunden später zurückkehrte – gemessen mit der Stoppfunktion an seiner Armbanduhr –, wischte ein mexikanischer Abräumkellner gerade den Tisch ab und pfiff dazu einen Reggae-Song. Scotts Mitarbeiter waren alle weg, bis auf Charlotte Harris-Hayasaki, die ihn mit einem mitfühlenden Lächeln an der Kasse erwartete.
»Wir haben gemeinsam bezahlt, einfach durch acht geteilt«, sagte sie. »Weil alle unbedingt wegwollten. Ich habe deinen Anteil bezahlt.«
Und was bin ich jetzt? , fragte sich Scott. Ein Trottel oder ein Idiot?
Wieder im Büro, brauchte Scott nur sechzig Sekunden am Computer, um den jüngsten Kreditkartenverrat seiner Frau aufzudecken. Ganz oben auf seinem Online-Kontoauszug stand die Lastschrift von einer Firma namens Desert Landscaping über einen erstaunlichen vierstelligen Betrag, so viel, wie er Pepe dem Gärtner für zwei Jahre Arbeit bezahlt hätte, wenn nicht noch mehr. Der Kakteengarten, das sah er jetzt, war wieder so eine monströse Marotte, die ihm seine Frau aufgebürdet hatte. Die Summe entsprach drei Monatsraten ihrer variabel verzinslichen Hypothek – das Haupthindernis bei Scotts Versuchen, ihre Finanzen so weit in den Griff zu kriegen, dass sie wieder in die schwarzen Zahlen kamen, mal ganz abgesehen von den mehreren Tausend Dollar, die er jeden Monat für die Privatschule seiner Söhne ausgab. Tatsächlich würde es ihnen dank der Verschwendungssucht seiner Frau nicht leichtfallen, Anfang des kommenden Halbjahrs den Beitrag für die »Aktivitäten und Einrichtungen« zu zahlen, die von den Jungen besucht wurden. Er kniff das Gesicht wie im Schmerz zusammen, als er die Seite herunterscrollte, um zu überprüfen, wie viel Zinsen er würde zahlen müssen, weil er seinen Kreditrahmen überzogen hatte. Sechsundzwanzig Komma vier Prozent mit Zinseszins! In Finanzkursen lernte man Formeln, mit denen sich ausrechnen ließ, wie schnell die »Macht der Zinsen« eine Familie zermahlen würde. Hektisch griff er nach einem Notizblock und kritzelte ein worst case scenario hin.
x = $9.250(1 + 0,264/12) 12·3
Das Ergebnis war eine fünfstellige Katastrophe: Zumindest für die absehbare Zukunft würde er Sklave dieses geborgten Geldes bleiben. Von der absurden Summe fühlte er sich so sehr bedrängt und verletzt, als hätte seine Frau ihn am Schlafittchen gepackt und in einen abgeschlossenen Raum geworfen, dessen Wände mit Quittungen, Kaufverträgen, Arbeitskosten und Garantien gepflastert waren, jedes einzelne Blatt eine höhnische Erinnerung an ihre unermüdliche, fröhliche Vernichtung seines Einkommens. Ihre drei Kinder waren ebenfalls mit in diesem Raum eingesperrt, waren ebenso Gefangene von Maureens Schulden wie er. Scott stand von seinem Bürostuhl auf und griff in die Luft neben seinen Schläfen, fing an, an seinem beengten Arbeitsplatz auf und ab zu laufen, kämpfte gegen den Wunsch, seinen Stuhl umzutreten oder alles, was auf seinem Schreibtisch lag, zu packen und gegen das Glas zu schleudern. Schließlich warf er einen Bleistift gegen seinen Bildschirm, mit ähnlich wütender Aufwallung wie ein Randalierer, der einen Stein in einen Spirituosenladen schmeißt; der Bleistift brach entzwei, ohne den Bildschirm zu beschädigen. »Scheiße!« Er schaute durchs Glas und merkte, dass Jeremy Zaragoza, Mary Dickerson, Charlotte und alle seine Mitarbeiter ihn anstarrten, und in ihren Mienen mischten sich zu verschiedenen Teilen Schadenfreude, Sorge und Verwunderung. Ja, hier sitze ich in meinem Käfig, euer Boss, der Gnade seiner Frau und ihren Schwächen und Begierden ausgeliefert. Bald schon würde er seinen Posten verlassen und einen Tag damit verbringen, nach Vierteln mit erschwinglichen Häusern und einigermaßen anständigen öffentlichen Schulen zu suchen.
Wenn Araceli kochte und putzte, hing sie gern ihren Tagträumen nach, und die führten sie oft zum Instituto Nacional de Bellas Artes, nicht weit vom Periférico Highway im Westen von Mexiko City. An jenem Morgen hatte sie beim Aufwachen an Felipe gedacht und daran, dass er Drachen malte, für die er an der Nationalen Kunsthochschule Hohn und Spott geerntet hätte. Nur ein schmaler Parkstreifen mit Jacaranda-Bäumen und Gehwegen, auf denen Hunde schnüffelten und an ihrer Leine
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