In den Häusern der Barbaren
Fernsehsender wechselt, wenn man beim Zappen auf eine blutige, geschmacklose Horrorfilmszene gestoßen ist.
In der Küche legte Araceli die Schürze ab: Sie würde das fertige Abendessen in zugedeckten Schüsseln auf der marmornen Arbeitsplatte stehen lassen und sich zunächst in ihr Zimmer im Gästehaus zurückziehen. Wenn Männer die Stimmen wie brüllende Urzeitmenschen erhoben, suchten kluge Frauen den Ausgang; so war es bei ihr zu Hause gewesen, so auch in vielen anderen Häusern, in zu vielen der aufgestapelten Würfel in der Nachbarschaft in Nezahualcóyotl, wo die Frauen sich tagsüber zusammentaten, um das Durcheinander zu entwirren, das die Männer nachts mit ihren Worten angerichtet hatten. Manchmal muss man einfach wegrennen. Man muss das Fenster schließen, die Tür schließen, die Ohren gegen das Knurren versiegeln, das die Menschen von sich geben, wenn die Hunde in ihnen herauswollen. Araceli strengte sich an, nicht mehr auf den Schlagabtausch hinter der Kiefernholztür zu lauschen, nicht mehr weiter zu hören, welche Worte ausgestoßen wurden, während sie die letzte Frischhaltefolie über die Schüsseln mit Pasta und Fischstäbchen zog.
Sie war auf dem Weg zur Hintertür, als sie ein halb gegrunztes »Sei still!« hörte, gefolgt von einem unverkennbar weiblichen Schrei und einem hellen Krachen, das so klang, als würden fünfzig Porzellanteller zugleich auf dem Boden zerschellen. Instinktiv kehrte sie um, stieß die Schwingtür wieder auf und sah Maureen am Boden, halb sitzend und halb auf den Trümmern des Couchtisches liegend. Sie hob die Arme, versuchte das Gleichgewicht wiederzufinden, ohne sich dabei am Scherbenmeer um sich herum zu schneiden. Auf Araceli wirkte sie wie eine Frau, die aus einem Flugzeug oder aus einer Wolke gefallen und auf einem Fleckchen Erde gelandet war, das sie nicht kannte, und die überrascht feststellte, dass sie überlebt hatte. Scott stand vor ihr, die Hände an die Wangen gelegt, und sah auf seine Frau herab.
»Oh mein Gott, das wollte ich nicht, das war keine Absicht«, sagte er und streckte helfend die Hand aus.
»Bleib weg von mir!«, schrie Maureen, und sofort machte er einen Schritt zurück. »Araceli, helfen Sie mir. Bitte.«
Die Mexikanerin erstarrte. Was haben diese Menschen einander angetan? Araceli spürte die Notwendigkeit, die Ordnung wiederherzustellen, und sie begriff, dass die Gewalt in diesem Raum sich ohne ihre Anwesenheit ins Unaussprechliche steigern konnte. Heute bin ich die Zivilisierte, und sie sind die Wilden. Sie haben aus dem Wohnzimmer, das dank meiner harten Arbeit geglänzt hat wie ein Museum, einen Wrestling-Ring gemacht. Lucha libre. Wäre ich nicht hereingekommen, hätten sie sich die Stühle aus dem Esszimmer geschnappt und nacheinander geschmissen. Araceli trat um die Überreste des Couchtischs herum, den sie heute Morgen erst mit blauem Sprühreiniger geputzt hatte, nahm die Hand ihrer jefa und half ihr auf die Beine.
Zweites Buch
Fourth of July
Weißt du, Bigger, ich wollte schon lange mal in diese Häuser … und einfach nur sehen , wie ihr so lebt.
Richard Wright, Native Son
10 Waaaaaaaaaa!
Der Wecker schreckte Araceli zu fortgeschrittener Uhrzeit – halb acht – aus dem Schlaf, die Sommersonne gleißte bereits durch die Vorhänge. Sonst war sie um diese Zeit längst wach, aber die Erinnerung an den vergangenen Abend hatte sie schlecht schlafen lassen, das Bild, wie ihre Hausherrin hilflos am Boden lag. Im Sommer ging der Tag im Haushalt Torres-Thompson später los, und oft konnte sie beim Anziehen etwas Zeit mit den Morgenshow-Moderatoren des spanischsprachigen Senders Univision verbringen, mit halbem Ohr den Interviews lauschen, dem Promiklatsch, den Berichten über die beste Diät und die jüngsten Drogenmorde in Guerrero und Nueva Laredo, sie konnte die Einspielfilme anschauen, auf denen die Toten unter umgestürzten Bussen hervorgezogen wurden, und dergleichen mehr. Jetzt hatte sie eine Art Expressmeldung in diesem Haus empfangen, zu nah, zu roh, als dass die Nachricht noch wirklich hätte unterhaltsam sein können. Das Klirren und Schreien hatte sich in ihre Träume geschlichen, weshalb sie tatsächlich bis zur Deadline des Digitalweckers geschlafen hatte. Inzwischen hatte el señor Scott sich vermutlich schon selbst Toast gemacht und war aus dem Haus – gerade heute Morgen war er vielleicht froh, den Kontakt mit seiner Haushälterin zu vermeiden. Araceli zog sich gemächlich an, heute die weiße filipina , und
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