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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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ihr graute vor der eisigen Stimmung, die sie im Haupthaus erwartete; ein Tag des Schweigens mit Maureen, gefolgt von der Anspannung nach Scotts Rückkehr, wenn der häusliche Raum wieder geteilt werden musste. Wenn ein Mann seine Frau auf den Boden warf, konnte es so leicht keine Vergebung geben.
    Leicht beklommen öffnete Araceli die Küchentür und dann die Tür zum Wohnzimmer. Niemand, nichts, alles ruhig, so aufgeräumt, wie sie es gestern Abend hinterlassen hatte, als sie die Scherben und Stahltrümmer des Couchtischs zusammengefegt, in zwei Kisten geräumt und draußen neben die Plastikmülltonnen gestellt hatte. Nur der verdächtig leere Raum vorm Sofa deutete auf die Geschehnisse des gestrigen Abends hin. Vielleicht sollte sie den Fußboden noch einmal gründlich nach Splittern absuchen, damit sich die kleine Samantha keine Glasreste in den Mund steckte. Araceli beugte sich tief herunter und nahm die ockerfarbene Oberfläche der Saltillo-Fliesen in Augenschein. Sie fand zwei Splitter, beide kleiner als ein Kinderfingernagel, betrachtete sie in ihrer Handfläche und dachte dabei weniger über die Splitter als vielmehr über den unerwarteten Gewaltausbruch nach, dessen Ergebnis sie waren. Dieses Haus wird nicht so schnell zur Normalität zurückfinden. Plötzlich sehnte sich Araceli, die Künstlerin, der sonst alles egal war, nach Alltäglichkeit. Sie war die Fremde, die mexicana , die keiner verstand, und ausgerechnet ihr fiel die Rolle zu, das Haus der Torres-Thompsons wieder zur Ruhe zu bringen und die gestörten Gewohnheiten wiederherzustellen: den Trost servierter Mahlzeiten – Frühstück, Mittag, Abendessen –, die Wohltat einer sauber glänzenden Küche und ordentlich gemachter Betten am Ende des Tages. Sie warf die kleinen Scherben in den Abfalleimer und fing mit dem Frühstück an, hielt sich dabei an die Reihenfolge, die la señora Maureen auf dem Kühlschrankkalender festgelegt hatte. Freitags: Grießbrei.
    Brandon kam um 8 Uhr 36 in die Küche getrottet, wenige Minuten später folgte ihm sein Bruder. Sie setzten sich an den Küchentisch und aßen schweigend, ihre Löffel schlugen mit dem vertrauten Klirren auf den Schüsselboden, und Brandon las beim Essen ein dickes Buch mit einem Drachen auf dem Umschlag. Araceli fragte sich, wie viel die Jungen wohl vom Streit ihrer Eltern gestern mitbekommen hatten. Wahrscheinlich hatten sie alles gehört, dachte sie, und das stimmte fast: Sie hatten sich ins Fernsehzimmer zurückgezogen und zur Ablenkung einen Zeichentrickfilm angesehen, als das Gebrüll am lautesten war und noch bevor ihr Vater ihre Mutter auf den Couchtisch geschubst hatte. Brandon hatte seinen leise weinenden jüngeren Bruder mit dem Satz »Hey, Keenan, komm, wir gucken einen Film« weggeführt, und das Klirren und der kurze Schrei ihrer Mutter waren von der schalldichten Tür aus mexikanischer Kiefer verschluckt worden, vom Orchesterwirbel der Titelmusik, die einen Cartoonjungen auf seinen Kampfkunstabenteuern durch eine von kriegerischen Stämmen bevölkerte Welt begleitete. Als Maureen etwas später hereingekommen war und sie aufgefordert hatte, sich fürs Bett fertig zu machen, hatten sie angenommen, alles sei wieder normal; sie waren noch zu jung, um die unterdrückte Erschöpfung in der Stimme ihrer Mutter wahrzunehmen, zu unerfahren in Bezug auf die Grausamkeiten, die Erwachsene einander antaten, um die Bedeutung der verquollenen Augen zu erkennen.
    Maureen erwachte auf einem Polster aus Bettdecken auf dem Fußboden neben dem Kinderbett ihrer Tochter. Dieses Zimmer mit seinen lavendelfarbenen Wänden, den Anfängen einer Puppensammlung und dem großen lila Stoffpony in der Ecke war ein sicherer Raum, in seiner Weiblichkeit ein Schutzschild gegen die männliche Härte dort draußen. Hierher würde er ihr nicht folgen; er würde sie nicht anschreien, nicht schlagen, wenn die Kleine neben ihr lag. Nachdem Scott Maureen mit Worten nicht weiter verletzen konnte, hatte er seine Muskelkraft benutzt, um diesen Haushalt in Angst und Schrecken zu versetzen, und damit jedes Gespräch zum Schweigen gebracht. Er hatte ein Ungeheuer entfesselt, das ihren Körper verheeren und ungeschriebene Regeln verletzen, das ihr die Wunden zufügen sollte, die seine Worte nicht schlugen. Zuerst war der Streit über Maureens Geldverschwendung mit dem Wüstengarten ein Spiegelbild der Auseinandersetzung über Scotts Vernachlässigung des petit Regenwalds gewesen. In diesem Fall hatte Scott den Schaden gehabt,

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