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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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hörte davon, wie der Individualismus und der Kult um die Arbeit den ganzen Tag der Amerikaner verschlangen und dann ihre Sonnenuntergänge und ihre Frühlingszeiten, ihre Familienfeiern, ihre Freundschaften und wie sie schließlich ihre alten Menschen verschwinden ließen. Aber es war dann doch etwas anderes, so mitten in das einsame Drama einer amerikanischen Familie hineinzustechen, als Mexikanerin Teil ihrer Geheimnisse und Verschwiegenheiten zu werden. Und was war eigentlich mit den abwesenden Familienoberhäuptern? Nicht ein einziges Mal hatte sie Maureen von ihrem Vater sprechen hören, es gab keine Fotos von ihm, nirgendwo. War er tot wie Scotts Mutter? Und wenn ja, warum hängte man dann keine Fotos auf und betrauerte ihn vernünftig? Oder war er einfach aus dem Haus verbannt worden wie der mexikanische Großvater der Jungen? Araceli fand, die Nummer von el viejo Torres hätte auch auf der Liste am Kühlschrank stehen müssen. Wieso stand sie da nicht?
    Maureens Zimmer im High Desert Radiance Spa war eine Zweizimmersuite, deren Zimmer beide auf einen Streifen Joshua Trees hinausgingen, die ihre gekrümmten Glieder auf einem sanft ansteigenden Hügel arrangierten wie eine moderne Tanzkompanie. Gleich nach Sonnenaufgang ging Maureen nach draußen und setzte sich in einen Plastikstuhl auf der kleinen Estrichterrasse, während Samantha drinnen schlief, unter ihrer Lieblingsdecke in einem faltbaren Kinderbett eingerollt, das die Hotelangestellten jeden Nachmittag wegräumten. Bald würde die nächtliche Kühle weggebrannt sein, doch im Augenblick flüsterten noch kleine Brisen eiskalter Luft um die Bäume und schoben die Steppenläufer an. Gestern Morgen war sie mit Samantha den Wanderweg der Anlage (»Schwierigkeitsgrad: niedrig«) bis zum Beginn eines von Büschen bestandenen Canyons gegangen, wo Samantha auf einen kleinen Sandsteinfelsen geklettert war, der wie der Bauch einer hochschwangeren Frau aussah. Ach, hätte ich doch eine Kamera dabei, um meine kleine Bergsteigerin zu fotografieren! Hier vergingen die Stunden fast ohne Gedanken an brüllende Männer oder zerbrochene Tische. Mutter und Tochter hatten ihre eigene sanfte Symmetrie; seit sie in diese Oase gekommen waren, hatte Samantha keinen einzigen Wutanfall gehabt. Offensichtlich brauchte dieses Mädchen einfach mehr Zeit allein mit seiner Mutter, es genoss es, nicht mit seinen älteren Brüdern um Aufmerksamkeit wetteifern zu müssen. Und auch in ihrem eigenen Wesen gab es etwas, das Maureen vernachlässigt hatte, ein Teil ihrer Seele hing an dieser trockenen, strengen, harschen Umgebung. Die kalifornische Entsprechung der Prärie von Missouri, wo ihre Siedlervorfahren auf der leeren Fläche des Landes gestanden hatten. Ich bin eine Frau, die offene Räume braucht. Der einzige männliche Faktor in dieser Zuflucht waren die knetenden Hände eines Mannes namens Philip, der ihr nach Salbei und Kamille duftende Öle in die Haut massierte und dabei nur die wenigen verbotenen Zonen ihres Körpers unberührt ließ. Jetzt weiß ich, was ich mir all die Jahre nicht zu fühlen gestattet habe.
    Der ursprüngliche Plan war gewesen, am Montag zurückzukehren, Scott gegenüberzutreten und ihm vielleicht zu vergeben. Vielleicht. Aber dann hatten die netten Menschen am Empfang den Montagsrabatt erwähnt. Das Notfallgeld reichte gerade noch für eine weitere Nacht und eine weitere Stunde auf der Massageliege.
    Am Samstagabend brachte Araceli die Jungen ohne Drama und Geschrei ins Bett. Am Nachmittag waren sie verschiedenen verbotenen Beschäftigungen nachgegangen, besonderen Spaß hatte ein stundenlanges Feuergefecht mit Plastikpistolen gemacht, die Schaumgummikugeln verschossen – die Jungen lachten laut, während die Geschosse harmlos von den Möbeln und ihren Körpern abprallten. Araceli hatte die Jungen danach aufräumen lassen, und dann hatten sie einfach eingewilligt, als sie erklärte: » Ya es tarde , Zeit fürs Bett.« Als sie im Bett lagen, zog sie ihnen die Decken hoch, wie sie es bei Müttern in Filmen gesehen hatte; daran, dass ihre eigene Mutter so etwas getan hätte, konnte sie sich nicht erinnern. Die Jungen wussten die Geste allerdings zu würdigen, schienen sie auch zu brauchen, und Araceli strich Brandon sogar über die Stirn, als sie Tränen in seine Augen steigen sah.
    »Glaubst du, dass Mom und Dad jemals wiederkommen, Araceli?«, fragte er.
    » No te preocupes. Deine Mommy wird bald wiederkommen. Und jetzt kümmert sich Araceli um euch.«

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