In den Häusern der Barbaren
casa, yo mando – In diesem Haus bin ich die Liebe, ein Strom aus Ordnung und Nahrung, der zu jeder Jahreszeit stetig fließt.
»Ich schlafe nicht hier neben euch, nein«, sagte Araceli. »Aber ich schlafe in der Nähe. Da drüben, im Flur. Okay?«
»Im Flur?«
»Ja. Aquí. «
Sie machte die Schlafzimmertür der Jungen auf, hatte in wenigen Augenblicken zwei dicke Bettdecken aus einem von Maureens Schränken gezogen und mit einem Kissen auf den Boden geworfen.
»Aquí voy a dormir. Aquí voy a estar.«
»Okay.«
Zum ersten Mal im Leben legte Araceli sich in ihrer filipina schlafen.
Araceli wachte vor Morgengrauen auf, die Kinder schliefen noch. Der Chor der Morgenvögel vor den Fenstern hatte noch nicht eingesetzt, und sie ging wie in Trance durch das leere Haus. Sie rechnete sich eine minimale Chance aus, dass Scott oder Maureen in der Nacht zurückgekehrt sein könnten, doch jeder Lichtschalter, den sie umlegte, beleuchtete nur die kahlen Tableaus der staubfreien Möbel: Im Elternschlafzimmer war die Tagesdecke noch straff übers Bett gespannt, in Scotts Spiel- und Fernsehzimmer deuteten keine Decken auf dem Boden darauf hin, dass jemand dort genächtigt hatte, und auch die Küche wies keine Anzeichen auf, dass sie betreten worden war. Sie kehrte zum Elternbadezimmer zurück, das sie am stärksten mit Maureens körperlicher Anwesenheit verband, und betrachtete die Gegenstände dort, als könnten die ihr erzählen, wann la señora zurückkehren werde. ¿Dónde estás, mi jefa? Eine Paddle-Brush in einem Weidenkörbchen am Rand des Marmorwaschbeckens fiel Araceli ins Auge. Die wenig elegante viereckige Plastikbürste musste morgens und abends beim Kämmen von Maureens Haaren die schwerste Arbeit leisten, und zwischen den Nylonborsten hatte sich ein dickes Büschel aus Maureens rotbraunen Haaren angesammelt. Einen Moment stellte Araceli sich vor, wie diese Strähnen sich aus der Bürste hoben und Gestalt annahmen, wie Maureen selbst auf wundersame Weise herauskommen und ihre Kinder mit mütterlichen Ermahnungen beruhigen würde.
Ich kann nichts tun als warten. Araceli schoss durch den Kopf, dass das Leben bei diesen Leuten sie ziemlich verwöhnt hatte, dass sie an ein krisenfreies Dasein gewöhnt war, vor allem durch Maureens unermüdliche Wiederholung täglicher Abläufe und durch das genaue Einhalten der vorgegebenen Zeitpläne. Im Lauf der letzten vier Jahre hatte es häufig ein wortloses Einverständnis zwischen den beiden Frauen gegeben, sodass unter anderem Handtücher und schmutzige Wäsche so mühelos durchs Haus kreisten wie der Verkehr auf den leeren Straßen der Laguna Rancho Estates. Wegwerfwindeln wanderten aus Plastikverpackungen in Vorratsregale, dann an Babyhintern und von dort in spezielle Windelmülleimer mit Geruchsstopper, schließlich in die große Mülltonne hinterm Haus, und nur ganz kurz beeinträchtigten sie dabei den Landhausduft, den die Kiefern- und Eichenmöbel sowie strategisch platzierte Lavendelzweige und Blütenmischungen verströmten.
Maureen war das Schwerkraftzentrum dieses Hauses, und mit jeder Stunde war ihre Abwesenheit schwerer zu begreifen. Wieso ist sie weg, und wohin? Eine Erklärung hätte vielleicht geholfen, leichter mit der seltsamen Situation fertig zu werden, und Araceli beschloss, Scott anzurufen und nachzuhaken: Was haben Sie la señora angetan? Haben Sie ihr wehgetan?
Es war halb neun Uhr morgens, die Jungen schliefen noch, als Araceli zum Kühlschrank ging und die zweite Nummer auf der Liste anrief: Handy Scott. In den vier Jahren, die sie nun für die Torres-Thompsons arbeitete, hatte sie Scott nicht ein einziges Mal angerufen. Heute Morgen würde sie es tun und ihn schlicht und einfach fragen, wieso sie mit zwei Jungen allein gelassen wurde, obwohl von Anfang an klar gewesen war, dass das Babysitten nicht zu ihren Pflichten gehörte. Nachdem sie nun eine Nacht gezwungen gewesen war, ihnen Vater und Mutter zu ersetzen, nachdem sie in Arbeitskleidung auf dem Fußboden geschlafen hatte, war sie über Höflichkeit und Respekt hinaus. ¿Donde estas? , würde sie fragen, mit dem vertraulichen »du« anstelle des »Sie«, das tief eingegrabene mexikanische Standesbewusstsein überspringend – so, als wäre sie die Chefin und er ihr Angestellter, auch wenn der einsprachige Scott ihre Frechheit gar nicht bemerken würde.
Das Telefon klingelte nur einmal, dann ging die Mailbox an. Sie versuchte es noch einmal mit dem gleichen Ergebnis.
Scotts Handy lag in
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