In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
einfach nur Indikatoren, Taxameter eines Prozesses, der nicht aufzuhalten war. Roman ging schließlich nach München und Hamburg und Sydney und Los Angeles und cruiste durch jeden Darkroom und Gayclub, der ihm in den Weg kam. Das fiel ihm leicht. Er war schließlich Eros und Adonis in einer Person. Diese Entwicklung hätte man niemals aufhalten können, und in dem Augenblick, als Roman das Licht der Welt erblickt hatte, standen diese Dinge unabwendbar fest. Vielleicht war nur das exzessive Schmecken des Lebens, die Sucht nach Erfahrungen, dem schnellen Sex, der Szene, der Droge und dem neuen Kick, etwas, das unmittelbar mit seiner Kindheit zu tun hatte. Der Versuch, so andersartig wie nur möglich zu werden. Sich von der Welt der Eltern soweit wie möglich zu entfernen. Ohne den Konflikt mit unserem Vater hätte er es sicherlich etwas sanfter angehen lassen.
Es war bedauerlich, dass ich Roman so schnell aus den Augen verlor. Ab und zu bekam ich von ihm provokante Postkarten. Irgendwann wurde es still, und ich wusste nicht mehr wo er war.
Mein Vater war kein schlechter Mensch. Er war ein Ingenieur und ein Städteplaner, der sich aus Gründen, die sich mir stets entzogen, dafür entschied, in den Westen zu emigrieren, was für ihn nur mit Nachteilen verbunden war. Direkt aus dem Asylheim in Murnau zogen wir nach Rosenheim. Vaters Qualifikation schien niemanden zu interessieren. Obwohl er nicht lange gebraucht hatte, um auf Oberbayerns Baustellen zu einem Vorarbeiter aufzusteigen, konnte sich seine Arbeit nicht mit dem messen, was er in Prag hatte.
Es war eine seltsame symmetrische Ironie. In Prag hatte es Wissenschaftler und Akademiker gegeben, die für meinen Vater Beton mischten und hier war er es, der die Anordnungen der Baumeister und Ingenieure entgegen nahm.
Er mochte die Dinge einfach und ordentlich. Seine Pantoffeln standen nachts aufgeräumt neben dem Bett, und er las jeden Tag zur selben Zeit die Zeitung. Wenn er Nachrichten im Fernsehen sah, schnaubte er fast unhörbar vor sich hin. Am Sonntag ging er hinaus und wusch sein Auto, auch dann, wenn es nicht nötig war. In allen Dingen war er ein Kleinbürger, der letzte seiner Art, im Zeitalter der Loveparade. Es wäre mir leichter gefallen, einen Außerirdischen zu begreifen, der nur aus Versehen auf der Erde gelandet war, als meinen Vater. Aber ich vermute, er stand unter dem Eindruck, dass Roman und ich keine sehr angemessene Gegenleistung des Schicksals waren, für die Opfer die er erbracht hat. Durch uns erschien ihm das Leben unfair und machte ihn zu einem zynischen, verbitterten Mann, der diese Empfindungen hinter minutiösen Alltagsritualen verbarg.
Meine Mutter starb schließlich an Krebs. Da war ich schon längst ausgezogen und verschwunden. Niemand rechnete damit, dass ich zur Beerdigung kommen würde, und niemand vermisste mich auf dem Friedhof. Denn ich war das ultimativ schwarze Schaf. Sogar Roman hatte seine Tanzgruppe in Berlin verlassen, um zu erscheinen.
Doch ich war dort. Aus sicherer Entfernung wohnte ich heimlich der Beerdigung bei. Bis heute weiß ich nicht, weshalb ich es getan hatte, denn schließlich hatte ich mich nur geärgert. Die Ansprache des Priesters, der meine Mutter nie im Leben getroffen hatte, war gespickt mit Peinlichkeiten und demonstrierte die Notwendigkeit, monotheistische Kulte endgültig abzuschaffen.
Während diese erbärmliche Zeremonie voranging, dachte ich an ihre alten, teilweise schwarzweißen Fotos. Sie war auf diesen Bildern eine ausgelassene, zwanzigjährige Frau, mit langen Haaren und hohen Plateauschuhen. In einigen Aufnahmen posierte sie, andere entstanden als Schnappschuss während einer Party. Mit Weingläsern in der Hand und nackten Knien, die unter den knappen Röcken hervorschauten. Auf fast allen Bildern lachte diese Frau, manchmal beinahe hysterisch. Auf anderen blickte sie mit den Augen eines angehenden Fotomodels kokett in die Kamera. Ich hatte nie verstanden, was diese Frau mit meiner Mutter zu tun hatte, die ich als eine vollbusige, leicht korpulente Hausfrau kannte, die in jeder Schublade und jeder Handtasche genügend Tabletten auf Vorrat hatte und mit einem steifen, trockenen Spießer verheiratet war. Ich hätte gerne die Frau auf den Fotos kennengelernt.
Langsam dämmerte mir, dass die Kluft zwischen dieser unbekannten und irgendwie geheimnisvollen Frau aus den Sechzigern und meiner Mutter meinen Namen trug.
Abgesehen von den üblichen Grübeleien, die unentwegt durch meinen Kopf
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