In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
Ledersitzen Platz nahmen, begriff ich, dass die Thailänderinnen nun auch geschminkt waren und unter diesem Schleier aus Sorge und Schmutz die ganze Zeit vier attraktive, geradezu adrette junge Damen gesteckt hatten. Plötzlich sahen sie nicht mehr wie Mädchen aus, sondern wie Frauen. Sie waren beinahe um zehn Jahre gealtert. Das war gut... Ich meine, es war gut, weil es dadurch weniger seltsam aussah. Wenn man schon einen Zug mit vier asiatischen Gören besteigt, ist es besser, wenn sie wie vierundzwanzig aussehen, anstatt wie vierzehn.
Ich musterte sie, während sie leidenschaftlich in die lappigen Burger hineinbissen, befriedigt an den breiten Strohhalmen ihrer Colas zogen und hypnotisiert auf die Fernsehbildschirme mit Musikclips starrten.
»Ihr seid wie ein wandelnder Werbefilm«, witzelte ich, ohne dass sie mich verstanden.
»Du musst handeln« , unterbrach plötzlich Korvinians Stimme meine Gedanken. »Lass die Frauen allein und gehe in den Bahnhof hinein.«
Ich stand langsam auf und versuchte natürlich zu wirken, um die kleine Viererbande nicht zu beunruhigen.
Während ich seine Anweisung befolgte und in die kleine Bahnhofshalle trat, sah ich bereits draußen, auf den Vorplatz mehrere Autos hektisch einfahren. Die Türen wurden aufgerissen und Gestalten sprangen auf. Sie alle eilten in meine Richtung.
»Lauf!« sagte Korvinian.
Es gab hier nicht viele Wege zur Auswahl. So rannte ich in den langen Korridor und passierte die Treppenaufgänge zu den Bahnsteigen.
Ich verstand, was Korvinian tat. Er sah eine gute Chance, dass die umgekleideten Thailänderinnen den Verfolgern gar nicht erst auffallen würden, da sie dort wie Touristen aus dem Fernen Osten aussahen. Und ich sollte die gesamte Aufmerksamkeit auf mich lenken. Danke für dieses Vertrauen!
»Nimm die letzte Treppe« , wies mich Korvinian an.
Oben kam ich auf einen leeren Bahnsteig, auf dem ein abgestellter Zug stand. Die Anzeigetafel war abgeschaltet.
»Steig ein!«
Ich griff nach dem roten Hebel. Der Waggon war offen und ich gab mir nicht die Mühe zu verstehen, wie Korvinian das wissen konnte, sondern kletterte hinein und schlug die Tür hinter mir wieder zu.
Der Zug war kalt. Im Waggon roch es nach altem Leder und Gummi. Es fühlte sich unwirklich an, nun plötzlich in vollkommener Stille zu stehen. Ich ging schwer atmend an den Sitzen vorbei und blickte leicht gebückt aus dem Fenster.
»Sie kommen« , informierte mich Korvinian freundlich.
Ich duckte mich und kauerte auf dem Boden, zwischen zwei Sitzen — fast wie damals, als ich die Geräusche in der Kanalisation gehört hatte.
Draußen auf dem Bahnsteig liefen die Söldner des Kerygma auf und ab und bellten sich gegenseitig irgendwelche unverständlichen Hinweise zu. Sie trugen schwarze Sakkos und Lederjacken und benahmen sich, als ob der Bahnhof ihnen gehörte. Wo ist denn die Bahnwache, wenn man sie braucht? Ich hoffte, den vier Frauen ging es gut. Vermutlich kriegten sie von all dem gar nichts mit und schlürften noch immer gemütlich Cola durch die dicken Strohhalme, während über ihnen von den Wandfernsehern MTV oder VIVA lärmte. Ich war sicher, sie konnten das stundenlang tun, ohne sich auch nur einmal zu fragen, wo ich blieb.
Das Geräusch war unmissverständlich. Eine der Türen wurde aufgerissen. Vermutlich nur einen Waggon weiter. Meine Hand krallte sich unbewusst in die weinrote Lehne des Sitzes.
»Deine Tasche« , erklang es in meinen Ohren.
»Was ist damit?« gab ich gereizt mit unterdrückter Stimme zurück.
»Hast du nicht die Bücher geprüft?«
»Nein...«
»Prüfe sie alle. Jetzt!«
Bizarrer Typ, dachte ich, während ich hektisch die Kuriertasche durchwühlte. Nebenan und nur zwei Schiebetüren entfernt, durchsuchten die Jäger die Sitzreihen. Ich fühlte sofort, dass das Buch, das ich nun einzeln in meiner Hand hielt, viel zu schwer für fünfhundert Seiten Papier war. Ich schlug es auf. Die Seiten waren ausgeschnitten und innen lag eine silberne Pistole. Ich nahm sie heraus.
Im selben Augenblick hörte ich, wie jemand die erste Zwischentür betätigte. Sie hatten offensichtlich den Strom im Zug aktiviert und gingen von Waggon zu Waggon. Die Schiebetür gab ein charakteristisches Zischen von sich, während die Metallplattform in dem Gummiwulstübergang unter den Füßen des Jägers ächzte.
»Wenn er durch die Tür kommt, nimm ihn...«
»Nehmen?« flüsterte ich ahnungslos und starrte auf den Game Boy, der nun auf dem Sitz lag. Auf dem Display
Weitere Kostenlose Bücher