In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
Winter da draußen. Aber hier sollte es vorbei sein. Ich wollte nicht gerettet werden. Ich wollte, dass der Arzt ging. Ich wollte, dass der andere Mann es beendet. Noch einmal versuchte ich meine Beine zu bewegen und erfuhr dieses seltsam schmerzende Gefühl von Nichts.
»Ich wäre jetzt gerne mit meinem Onkel allein«, erklärte ich Dr. Bondy.
»Fühlen Sie sich fit für Besucher?« Er lächelte zufrieden, fast etwas erfreut darüber, dass ich offensichtlich nicht mehr die Schranke der Amnesie zwischen mich und meinen Verwandten stellte.
Ich nickte leicht. Augenblicke später war der Arzt aus dem Zimmer und ich mit dem unbekannten Mann allein. Mein ganzer Körper tat weh. Sogar jene Körperteile, die ich eigentlich nicht mehr spüren sollte, schmerzten irgendwie. Ich hatte einen Grad an Verwirrung und Verzweiflung erreicht, der nicht mehr steigerbar war. Die Lawine aus Fragezeichen, die vor einem Jahr begonnen hatte auf mich einzuschlagen, schien mich am Ende nun doch zu ersticken.
»Du willst mich töten, also mach schon.« Ich duzte ihn trotzig, obwohl er deutlich älter war.
Der Mann war hager und hatte nicht mehr viele Haare am Kopf. Die Sechzig war ihm näher als die Fünfzig. Er trug eine recht starke Brille, und sein grauer Trenchcoat war alt und abgetragen. Ich bemerkte, dass in seinen Augen ein gewisses Lächeln blitzte. Nicht sadistisch, sondern eher fasziniert. Als sähe er mich nicht zum ersten Mal. Als würde er nur mein Foto kennen und mich nun endlich in persona treffen. Er stand langsam und schweigend auf, schob seinen Stuhl ganz nah an mein Bett und setzte sich wieder.
»Wer bist du?« fragte mich der Mann. Eine derartige Frage war überraschend.
»Ich verstehe nicht...«
»Wie hast du, ein Kind, das ständig unbeholfen durch das eigene Schicksal taumelt und gegen Türbogen poltert, es geschafft, uns so nahe zu kommen?«
Ein sehr polemischer Killer, dachte ich und seufzte trotzig.
»Alles in den letzten Monaten war nur ein einziges Rätsel... Haben Sie Antworten? Echte Antworten? Wenn nicht, quatschen Sie mich nicht voll.« Ich hatte unbewusst begonnen ihn zu siezen, denn es war etwas in seiner Stimme, dass mich dazu zwang, ihm mit Respekt zu begegnen.
Der Mann lehnte sich zurück und streckte gemütlich seine Beine aus.
»Du hast an einem Spiel teilgenommen, das du nicht verstehst. Du solltest also nicht überrascht sein, wenn deine Figur nicht mehr auf dem Brett steht.«
Er begann in einer Inspektor-Colombo-Manier seine Taschen abzuklopfen und zu durchsuchen. Schließlich kramte er eine zerknüllte Zigarettenschachtel hervor.
»Magst du eine rauchen?« fragte er.
Der Mann hatte wohl komplett verpasst, dass man seit mindestens hundert Jahren nicht mehr in Krankenhäusern rauchte, dachte ich.
Etwas unbeholfen machte er die Schachtel auf und zündete sich tatsächlich eine Kippe an. Nach einem Zug begann er verzweifelt zu husten und drückte schließlich die Zigarette gegen den Metallrahmen meines Krankenbettes aus. Den langen Stummel warf er unter das Bett.
Ich erinnere mich, dass ich nur an eine Sache dachte: Um Gottes Willen, kann nicht mal der Typ, der mich umlegen soll, normal sein? Welcher Meuchelmörder erstickt fast an der eigenen Zigarette?
»Ich versuche mir wieder das Rauchen anzugewöhnen«, rechtfertigte er sich. »Manchmal ist es faszinierend, das Nikotin so zu spüren, wie es in den ersten Tagen und Wochen des Lasters war...« fuhr er fort. »Die Menschen... Sie genießen etwas für drei Wochen und die darauffolgenden dreißig Jahre betreiben sie es dann notorisch und ohne Vergnügen...«
Ich wollte ihm gerne irgendeine Unverschämtheit ins Gesicht schleudern. Oder ihn wenigstens zornig ansehen, während er seine Pistole mit einem Schalldämpfer an meine Stirn drückte. Denn ich fühlte mich verletzlich und unterlegen — auf dem Bett, mit leblosen Beinen.
»Wie auch immer. Ich war mal ein Kettenraucher und doch hat meine Lunge noch nie Rauch geschmeckt. Wie ist es möglich? Kannst du das Rätsel lösen?«
»Wer — sind — Sie?« zischte ich langsam.
»Ich würde mich lieber fragen, wieso du — ein Kerl gänzlich ohne eine Krankenversicherungskarte in der Brieftasche — ein Zimmer für dich alleine bekommst.« Er sah mich eine Weile an, als wollte er mir Zeit geben, die Antwort zu formulieren. »Der Sozialstaat ist zu einem derartigen Luxus nicht verpflichtet.«
»Klar. In einem Saal mit zehn anderen Patienten wäre es schwierig mich zu erledigen«, sprach
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