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In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

Titel: In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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während ich einen der Kartons vor meiner neuen Haustür abstelle.
    Ich setzte mich auf eine der Kisten und beobachtete zwischen den Metallstäben des Geländers Ahmed, der ein Stockwerk tiefer ächzend mit einem Karton kämpfte, der ihm aus den Händen rutschte. Es fiel mir ein, dass gar nicht Ramadan war. Ich wusste das, weil in meinem Lieblings-Kebab-Laden, gleich neben dem Poster von Ferdi Tayfur und unter dem Portrait von Mustafa Kemal, ein islamischer Kalender an der Wand hing. Ich hätte mir gerne mal Ahmeds Unterarme ansehen, aber er trug einen langen, grauen Pullover. Dopeheads haben eine Tendenz, sich gegenseitig zu erkennen. Er ruhte sich einige Sekunden aus, mit den Händen gegen die Knie gestützt und blickte dann instinktiv hoch zu mir. Unsere Augen begegneten sich und trennten sich wieder.
    Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und musterte den Turm aus braunen Kartons. Auf den meisten Kisten standen mit dem Filzstift geschriebene Buchstaben. »DC« für DC-Comics, »M« für Marvel, »MI« für Milestone und »MC« für Malibu Comics. Es gab noch viel zu tun.
    In der Nacht lag ich auf meiner Matratze und starrte in die Dunkelheit. Ich war zwar müde vom Umzug, doch die Anwesenheit der nicht ausgepackten Kartons ließ mich nicht einschlafen. Ich hätte gerne in die Regale gegriffen und einen meiner Helden von den dünnen billigen Papierseiten aufsteigen lassen. Aber die Regale standen noch in der Dusche. Schwarze, verstaubte Bretter. Wann läuft unsereiner schon mit einem Reinigungstuch durch die Gegend? Doch leider löst sich Staub nicht durch bloßen Luftzug. Ich brachte den Staub meiner alten Wohnung in die neue.
    Meine Gedanken drifteten. Es kommt nur wenig Schmeichelhaftes an die Oberfläche, wenn man erst mal den Fernseher ausschaltet und ein wenig in sein Inneres blickt. Plötzlich ist kein Held da, der das Dilemma für mich durchleidet. Keine Rateshow, die ablenkt, wenn einem nach Grübeln ist. Kein News-Channel, der hilft, die Welt zu verstehen.
    Warum hatte ich diese Wohnung genommen? Was zog mich nur hierher? Sie war viel zu klein. Wie die asiatischen Studentinnen nebenan. Plötzlich beginnt jemand, eine Melodie auf einer Violine zu intonieren.
    Ich wollte einige Regale aufbauen und die Comics einsortieren. Die gefüllten Regale hätten die Düsternis in meinen Gedanken vertreiben können. Ich wollte aufstehen und die Nacht durcharbeiten, um die Bretter und die Hefte wieder zu einer Einheit zu verbinden. Sortiert nach Verlagen und Ausgaben. Chronologisch. Doch ich war zu erschöpft. Zu erschöpft, um mich zu bewegen, zu erschöpft für den Schlaf.
    Damals, nach meinem Einzug in die Theresa-Berkley-Straße war ich sogar zu erschöpft für meine Albträume.

1.07 Die Cervantes-Zone
     
    Die im Zustand vollkommener THC-Umnebelung ersonnene Operation war genauso schlecht vorbereitet, wie verlaufen — doch wenn ich heute daran zurück denke, weiß ich, dass wir keine Chance hatten, einen anderen Verlauf herbeizuführen. Es ging hier nicht um Erfolg und Misserfolg. Es war ein geplantes Debakel. Reinste Bestimmung.
    Donnerstags ließen wir die Sonne entschwinden und gingen dann erneut in das Souterrain des Hauses. Als wir das Erdgeschoß passierten, schweifte mein Blick über den üblichen Stapel aus Postwurfsendungen, die auf der Treppe lagen. Ich überflog die Schlagzeile auf einer der Zeitungen:
     
    Schiesserei im Westend — Polizei gibt Entwarnung
    Ermittlungen jedoch ohne eindeutige Resultate
     
    Ich holte eilig Manzio ein und klopfte ihm auf die Schulter.
    »Kannst du dich an die Böller vor zwei Tagen erinnern?« flüsterte ich in sein Ohr.
    Er drehte sich um und leuchtete mit der Taschenlampe in mein Gesicht.
    »Ich glaube, das war eine Schießerei.«
    »Interessant«, erwiderte er mit halbleiser Stimme und wandte sich wieder der Dunkelheit zu. Er öffnete die unauffällige Tür unter der Treppe und wir schritten wieder entlang der Pfützen in einem Odor aus Kalk und feuchtem Beton.
    Der kalte Gang wurde wärmer, je mehr wir uns dem geheimnisvollen Heizungsraum näherten. Als wir an dem zerbrochenen Fenster vorbeigingen, blickte ich kurz hoch, um zu sehen, ob die Kreuzspinne noch dort hing und unserem geistesschwachen Treiben zusah. Doch weder die Spinne, noch der Mond waren zu sehen. Nur gähnende Schwärze.
    Manzios Aufmachung war sicherlich das Beunruhigendste an der ganzen Sache. Um den Hals trug er in der Manier eines Arztes ein Stethoskop. An seinem Gürtel hing eine Rolle

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