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In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

Titel: In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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ich gedacht hatte.
    Ich schob die Pistole unter die Bettmatratze und ließ mich auf das Bett fallen. Dann sterbe ich eben, dachte ich trotzig. Hauptsache, ich kann jetzt etwas schlafen.
    In wenigen Stunden würde es dämmern. Ich hatte wirklich genug für heute.
    Draußen begann langsam der Regen gegen das Blech der Dachrinnen zu trommeln und all die Zigarettenstummel und all das Erbrochene wegzuspülen, all die verbrannten Streichhölzer und bunte Lose mit dem Aufdruck »Niete«, gebrauchte Kondome und menschliches Blut, nach Fisch riechende Seiten einer Zeitung und Hundekot. Für heute war es wieder vorüber. Nur unten auf dem Altonaer Fischmarkt stellte sich gerade der Alltag ein.
    Es war immer dasselbe mit mir. Wie damals in München, als ich im Zug saß. Ein Teil von mir zitterte im Schock, ein anderer freute sich über eine seltsame Lebensnähe. Es war, wie Evelyn es schilderte, als sie von SM sprach: Plötzlich ist man voll wach. Der Tag war vorüber, und mein Kopf schien nur noch sinnlose Ladungen Adrenalin auszustoßen, die sich nun mit der körperlichen Müdigkeit einen Gefecht lieferten. Doch die Müdigkeit gewinnt am Ende immer. Sex wäre jetzt die Krönung. Erschöpfter, träger Sex.
    Pech gehabt.

2.08 Tunnelplay
     
    Als das Telefon klingelte, hatte ich gerade meinen Hyper-Albtraum. Auf einem kleinen Friedhof schlug mich der Mann mit dem bordeauxroten Zylinder mit seinem Spazierstock ins Gesicht und ich stürzte rückwärts in eine breite Grube. Sie war voller Leichen, die mit einer Kalk dünnen Schicht aus Kalk überschüttet waren.
    Mein Telefon klingelte fast nie. Außer Evelyn, hatte ich niemandem diese Nummer gegeben, und so erwartete ich genau sie. Mit Schweißperlen auf der Stirn hauchte ich in die Sprechmuschel.
    Doch es war Robert.
    »Wir haben uns auf der Party kennen gelernt«, eröffnete er mir, als hätte er die Hoffnung, ich würde mich nicht an ihn erinnern. »Ich weiß nicht, ob dir Evelyn erzählt hat, was mal zwischen uns vorgefallen ist. Es ist nur...« Seine Worte taumelten, meinen Gedanken nicht unähnlich.
    »Hmmm«, murmelte ich trocken und rieb mir mein verschlafenes Gesicht, während ich überlegte, ob ich nur noch von lauter Irren umgeben war.
    »Alles was ich will, ist einfach zu erklären, dass es mir leid tut und... Äh, zu erklären, wie es dazu überhaupt kommen konnte...«
    Er klang wie ein Kind, dessen Eltern ihn zwischen die Schulterblätter schubsen und ihm von hinter die Entschuldigungsfloskeln vorsagen.
    »Ok«, willigte ich wortkarg und hustete kurz. »Aber solltest du das nicht eher ihr sagen...?«
    »Sie ist süchtig nach dem ultimativen Kick. Sie ist wie einer dieser Freaks, die mit Fallschirmen von Wolkenkratzern springen. Totaler Adrenalinjunkie. Wir hatten viele Abende darüber geredet, wie wir einen höheren Grad an Spontaneität erreichen könnten...« Es sprudelte aus ihm heraus, als ob er Evelyn bei einem Lehrer verpetzen wollte. Ich wusste, dass es für mich nichts auf der Welt gab, das dazu beitragen konnte, ihn zu mögen. »Sie war auf der Suche nach der heftigen Erfahrung. Es war meine Aufgabe mit neuen Szenarios zu kommen. Die Voraussetzung war, dass sie nicht wissen durfte, was sie erwartete. Wir wollten weg von den Rollenspielen, bei denen vorher ausgemacht wird, worum es gehen soll. Das ultimative Tunnelplay. Es tut mir leid, dass sie damals mein geheimes Szenario nicht so gut verdaut hat...«
    Er schwieg eine Weile und ich lauschte dem chaotischen Rauschen in der Leitung.
    »Ich will mich mit ihr versöhnen«, brabbelte er reumütig. »Sie sagte, wenn du dabei bist, trifft sie sich mit mir auch...«
    Ich hatte es verstanden. Evelyn benutzte mich, um Robert ein wenig zu demütigen. Er sollte bei mir anrufen und um einen Termin betteln.
    »Ich werde es mir überlegen«, erwiderte ich und legte auf. Arschloch.
    Ich ließ Wasser in die Wanne einlaufen und trat lauschend an die Wand heran. Aus Tinas Wohnung drangen dumpfe Schläge gegen den Sandsack an mein Ohr. Stampfen. Kurze Schreie. Wenigstens eine, die hier bereit war.
    Als ich eine halbe Stunde später das Wasser aus der Wanne ablaufen ließ, dachte ich daran, dass mir mein Leben genauso vorkam, wie die Flüssigkeit im Abfluss. Das Wasser in einer Badewanne spürt von der ersten Sekunde an, dass jemand den Stöpsel rausgezogen hat und dass es irgendwo am unteren Ende immer weniger wird. Es fühlt sich am Anfang nur nicht besonders schlimm an. Ich musste an eine Zeichnung von Zdenek Burian

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