In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn
deutet auf mich.
Talitha zuckt mit den Schultern.
»Ein neuer Avatar soll mir recht sein. Die blöden Narben aus München sind nicht mehr weggegangen. Was wollten die nur von dem Kerl?«
Patrice röchelt etwas unfein und steht mühsam auf.
»Die wollten ihn schon gestern mit irgendwas vollpumpen«, sagt sie.
»Wie nahe standen sie sich?« fragt Talitha. Irgendwas tief im Hintergrund meines ramponierten Gehirns lässt mich vermuten, dass sie gerade über Evelyn und mich sprechen.
»Man konnte die immer im ganzen Stockwerk hören. So wild, wie die es getrieben haben, können sie sich nicht sehr nahe gestanden haben«, sagt Patrice, die Schwertmeisterin.
»Ich habe paar recht unanständige Echos gehabt, als ich sie betrat...« Talitha hält sich einen Strang von Evelyns Zottelhaaren vors Gesicht. »Und was soll ich damit nun machen?«
Draußen heulen inzwischen die Sirenen der Polizei, der Feuerwehr und der Ambulanz in einem kakophonischen Orchester.
»Soll sich Adam um dieses Chaos kümmern«, raunzt Talitha und kämpft sich ebenfalls auf die Beine. »Irgendwelche Beweise hier?«
»In den Trümmern müsste irgendwo der Game Boy und eine Ampulle Thanatol sein. Aber ich glaube nicht, dass davon noch viel übrig ist.«
»Ich hole meine Sachen und dann hauen wir schleunigst ab.«
»Wohin?«
»Wir müssen über das Dach...«
»Was sonst...«
Im Augenwinkel sehe ich etwas später Patrice an mir vorbeigehen, mit einer großen Eishockey-Tasche auf der Schulter.
Und dann sind sie weg. Meine infantile Phantasie ist verflogen. Während sich draußen die klangliche Mischung aus Polizei-, Feuerwehr- und Krankenwagen-Sirenen langsam beruhigt, verliere ich das letzte Stück Bewusstsein und versinke in jenem Nebel, der alle umgibt, die zu müde und zu zerschunden sind, um weiterzumachen. Die Welt löst sich auf.
Fragment: Der Hyper-Albtraum #25
Der heutige Albtraum ist mit dem handelsüblichen Jan-Marek-Kámen-Zertifikat versehen. Das bedeutet: extrem hässlich, extrem gewalttätig, extrem psychotisch. Ich sehe mich als Kind in einem Hof stehen. Zwei Hunde bellen mich an und reißen wütend an ihren Ketten. Ein Mädchen — wenige Jahre älter als ich — reicht mir ein Stück Streuselkuchen. Ich strecke meinen Arm aus, um es zu nehmen, doch sie zieht den Teller wieder zurück.
»Du musst dich nackt ausziehen und einmal um den Hof laufen, wenn du ihn willst«, sagt sie mit einem grausamen Lächeln.
Ich spüre, wie mein Magen knurrt. Und ich habe bis jetzt noch nie einen Streuselkuchen gegessen. Zu allem bereit, ziehe ich die ausgeleierten Hosenträger von meinen Schultern und beginne mein Hemd auszuziehen. Es fängt wieder zu schneien an. Dicke schwere Schneeflocken setzen sich langsam auf das lange, goldene Haar des Mädchens. Wie kann ein Engel so gemein sein?
»Du musst alles ausziehen, sonst zählt es nicht!« ruft sie und hält sich den Teller unter die Nase. Sie schnuppert übertrieben an dem Kuchen. »Vielleicht esse ich ihn aber doch selbst.«
Bald stehe ich nackt vor ihr und trete von einem Fuß auf den anderen.
»Ja, mach! Los!«
Ich renne, während sich der eisige Wind um meinen Körper windet und mit seinen unsichtbaren Tentakeln meine Waden peitscht und die Hunde mich cholerisch und mit Schaum vor dem Mund anbellen. Der Bauernhof ist groß und einsam. Doch bald stehe ich wieder vor dem Mädchen, schwer keuchend und frierend. Ich will mich wieder anziehen. Das Mädchen hält mich an und reicht mir den Teller. Diesmal zieht sie die Hand nicht zurück. Ich greife nach dem Streuselkuchen und beiße ein großes Stück ab. Als ich von dem Teller hochblicke, sehe ich, wie das Mädchen meine Kleidung in einem großen Knäuel in das Gehege der Hunde wirft. Meine Augen füllen sich mit Wasser. Ich hatte mich gefreut, endlich Kuchen zu essen. Das Essen der besseren Leute zu kosten. Doch während mir der herrliche süße Geschmack den Rachen verstopft, fühle ich mich betrogen und verloren.
»Sie schauen drein, als wären Sie nicht zum ersten Mal hier«, sagt der Mann neben mir.
Ich stehe auf dem verwahrlosten Hof und starre in jene Ecke, in der sich vor vielen Jahren das Hundegehege befand. Nun liegen lediglich einige zersplitterte Bretter dort.
»Das ist eine Ewigkeit her.« Ich blicke kurz auf die Uhr in meiner Westentasche. »In einer Stunde nehme ich den Zug nach München. Außerdem wird es bald regnen. Verlieren wir also keine Zeit, Hauptmann.«
Wir betreten die Küche. Der Boden ist bedeckt mit
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