In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn
Sie nicht kindisch«, versucht es Stahl noch einmal auf die nette Tour. »Das Kerygma will doch keinen Interessenskonflikt mit dem Oktagon. Nur wegen...« Er wedelt kurz mit der Hand in der Luft, auf der Suche nach einem treffenden Wort. »...dieses unwichtigen Kerls.«
»Ich habe meine Anweisungen«, gibt Laura schroff zurück. «Der Junge kommt nach München und zwar lebend. Doch hier ist mein Vorschlag. Sie können Patrice und Talitha haben. Glauben Sie mir, eine größere Trophäe werden Sie zu Ihren Lebzeiten nicht mehr nach Hause bringen. Und ich behalte das Paket.«
»Sie kennen unsere Bestimmungen. Ein kontaminiertes Subjekt...«
»Sie und Ihre blödsinnige Pandämonie!« schreit Laura Cortez. »Sie glauben doch selbst nicht, dass sie überhaupt existiert, Sie Heuchler...!«
»Fräulein Cortez. Verlieren Sie bitte nicht Ihre Contenance. Gehen Sie zurück. Erklären Sie Rufus Mahr, dass ich es war, der Sie gehindert hat, den Jungen mitzunehmen. Rufus soll mit uns Rücksprache halten. Dann wird sich alles aufklären...«
»Quatschen Sie mich nicht voll, Sie Spinner!« zischt Laura.
»Halten Sie Rücksprache mit Ihrem Vorgesetzten! Jetzt!« Die Stimme des Oberst zittert vor Zorn. Seine Ressourcen auf dem Gebiet der Geduld sind eindeutig erschöpft.
»Hört mal, das hat doch alles mit mir nichts mehr zu tun...«, meldet sich überraschend jemand zu Wort.
Es ist Robert. Er steht unsicher vom Sofa auf und macht tatsächlich Anstalten, die Tür anzusteuern. Es ist zu grotesk.
»Halt´ die Schnauze, Perversling«, raunzt ihn Laura Cortez an. »Hier geht niemand raus, solange ich es nicht sage.«
Robert bleibt mir erhobenen Händen stehen, verunsichert darüber, ob er sich nun wieder hinsetzen soll.
Und dann höre ich dieses leise, vertraute Geräusch, das ein CD-Player macht, wenn er die Scheibe zum rotieren bringt und Daten in seinen Puffer einliest. Für eine Sekunde.
›Oh, nein‹, schießt mir durch den Kopf. ›Der defekte CD-Player.‹
Die Musik kommt brachial und laut. Sie kommt plötzlich und für alle bis auf mich unerwartet. Es ist die einzige Sekunde in diesem Spiel, in der ich mehr weiß, als die anderen. Und diese Sekunde ist schnell vorüber.
Robert erschreckt sich und gibt ein unverständliches Geräusch von sich, das wie »Eya-ja« klingt.
Der Schuss ist wegen des Schalldämpfers und den Technobeats nicht besonders gut zu hören. Frankie, Lauras Söldner, der zuvor Evelyn, sprich Talitha, in Schach gehalten hat, drückt noch einige Male ab und beobachtet ausdruckslos Roberts stürzenden Körper. Im Augenwinkel sehe ich, wie Patrice einen Schritt nach vorne macht, weg von Dino, dem zweiten Killer, ohne ihn dabei anzusehen. Im selben Augenblick schießt eine unwirklich anmutende Blutfontäne aus seinem Hals und spritzt ihre Unterschrift über die Ledersitze des Sofas. Auf der schwarzen Sitzgarnitur erinnert das Blut an Gelee.
Frankie schwenkt bereits um neunzig Grad, um Patrice mit seiner Pistole ins Visier zu nehmen. Doch der Söldner ist nicht schnell genug, um sie zu erreichen. Elegant schwebt sie über das Sofa, auf dem Roberts Leiche ausdruckslos sitzt und vor sich hinstarrt, als würde sie Werbefernsehen gucken.
Regungslos beobachte ich, wie Laura mit der Geschwindigkeit einer Klapperschlange eine Pistole zieht, die sich offenbar an ihrem Rücken befand und Oberst Stahl in die Brust schießt, um sich beinahe im selben Augenblick Evelyn, ich meine Talitha, zu widmen, die bereits in Lauras Richtung gestürzt kommt. Die Katze ist nicht schnell genug. Talitha tritt nach ihrer Hand und befördert die Pistolen in einem hohen Bogen durch das Wohnzimmer. Die Waffe knallt dicht neben mir gegen die Wand. Ein neuer Schuss löst sich.
Juri stöhnt auf und drückt seine Hand gegen den Bauch.
»Svolotschi! Sobaka!« ächzt er und feuert auf Frankie.
Der Oberst fällt inzwischen rücklings auf das Sofa, um dort breitbeinig neben dem toten Robert sitzen zu bleiben. Mit ausglühenden Augen starrt er den wachsenden Blutfleck auf seinem Hemd. Eine glückliche kleine Familie am Samstagabend.
Vorbei an Juri stürzt sich Sergej in die Richtung von Oberst Stahl. Juri leert im selben Augenblick sein halbes Magazin in Frankies Brust. In der Mitte der Wohnung trifft er auf Patrice, die kaum den Boden zu berühren scheint.
Für einen winzigen Augenblick sieht Sergej den von seinem Körper getrennten Arm durch den Raum rotieren, um einen Herzschlag später in Patrices Gesicht zu starren. Nur eine
Weitere Kostenlose Bücher