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In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

Titel: In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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Glas- und Porzellanscherben. Zwei Tote. Ich lasse meine Augen durch den Raum wandern.
    »Lassen Sie auch in die anderen Stuben niemanden hinein«, flüstere ich. Ich betrachte die Leichen zwischen den Trümmern und versuche aus den Spuren herauszulesen, was zuerst und was zuletzt geschah.
    Eines der verzierten Regale, das verzierte Teller und Schalen trug, wurde herausgerissen und fortgeschleudert. Die blassen Konturen des Regals sind noch immer an der Wand zu sehen, da der Farbanstrich an dieser Stelle langsamer alterte, als der Rest des Zimmers. Durch die beiden herausstehenden Regalhaken wurde ein Seil durchgezogen. In der Schlinge in der Mitte des Seils steckt der Kopf des Mannes. Noch immer hängt seine Leiche dort, die Hände am Rücken gefesselt, mit zusammengebundenen Beinen und weitaufgerissenen, herausquellenden Augen, die auf die tote Frau auf dem Esstisch starren.
    »Er wurde mit Salz vergiftet«, sage ich — mehr zu mir, als zu dem Soldat.
    Ich blickte nachdenklich auf den Küchenboden, wo sich Porzellanscherben, Mehl, Salz und trockenes Blut zu einem avantgardistischen Brei vermengten.
    »Wie kann man jemanden mit Salz vergiften?« ruft der Hauptmann von der Tür.
    »Alles ist Gift. Gift ist eine Frage der Dosis. Führen Sie einem Menschen ein dreiviertel Pfund Salz zu und er stirbt vor Ihren Augen.«
    Ich wende mich der Frau zu.
    »Sein Blutdruck muss ungeheuerlich gewesen sein«, sage ich und werde dem Soldat einen kurzen Blick zu. Er starrt noch immer ungläubig auf die Leiche an der Wand.
    Ich erkenne sie sofort. Ich sehe noch immer das boshafte Mädchen in diesen starren, ausgetrockneten Augen. Sie hat keine Fesseln an den Handgelenken und auch keine Spuren, die auf Seile oder Riemen hinweisen. Ihre Kleidung ist zerfetzt, eher nicht mehr vorhanden, als hätte ein riesiges Tier mit Krallen auf ihr gewütet. Ich komme nicht umhin, an die Kratzer zu denken, die mir damals ihre Hunde zufügten.
    Er muss das wissen. Wie ungeheuer wäre der Zufall? Stagnatti verhöhnt mich mit seinem Geschenk.
    Zwischen den Lippen der Frau liegt eine dünne Kette. Ich nehme sie vorsichtig zwischen die Finger. Es ist Gold. Langsam ziehe ich an ihr, behutsam, da ich nicht möchte, dass sie reißt. Es gelingt nur mit Mühe, da der Mund der Frau verschlossen ist. Ein Christuskreuz kommt zum Vorschein.
    »Ja, um Gottes Willen!« ruft der Soldat beim Anblick des Kreuzes aus.
    »Es ist nur ein Kreuz«, erwidere ich.
    »Ich habe bei Königgrätz viel Tod gesehen und seltsame Dinge auch«, flüsterte er und deutete auf den toten Mann. »Aber nichts derart befremdliches.«
    Es war sicher nicht einfach, dem Ehemann das Salz in den Rachen zu stopfen, ohne dass er es immer wieder erbrach. Wie hat Stagnatti es gemacht? Wie brachte er die Frau dazu, stillzuhalten, während er den Mann folterte? War sie so gelähmt vor Angst, dass es unnötig war, sie zu fesseln?
    Ich gleite mit meinen Fingerspitzen über die sanften Rillen am Bauch der Frau. Vermutlich war es wegen der Kinder. Er hatte sie in der Hand.
    »Hat man die Kinder gefunden?« frage ich den Hauptmann.
    »Kinder? Gab es hier Kinder?«
    Er zuckt mit den Achseln. »Die Räume oben sind alle geplündert und durchgewühlt worden. Man erkennt kaum, was wohin gehört. Als wir die Verwüstung sahen, haben wir sofort die Gendarmerie benachrichtigt. Und die sagten uns, dass Sie vor Ort sind und wir nichts anfassen sollen...«
    »Schon gut. Schicken Sie jemanden ins Dorf, der herausfinden soll, wie viele Kinder das Ehepaar hatte.«
    Wir gehen zurück in den Hof. Es beginnt zu regnen. Ich blicke zum Himmel. Er ist rot. Was blau sein sollte, hat eine karminrote Färbung, während die dichten Wolken beinahe schwarz sind. Die Tropfen schlagen gegen mein Gesicht und auf meinen Handrücken. Es ist Blut.

2.10 Peripeteia
     
    Mein Geist wollte mich hochreißen, doch der Körper war zu schwach, um zu folgen. Immerhin wurde ich wach. Ich spürte noch die warmen Tropfen des blutroten Regens auf meinem Gesicht. Doch es war nur Schweiß.
    »Ich bin Dr. Bondy«, sagte der Arzt sanft. »Wie fühlen Sie sich?«
    Ich schwieg und gab nur ein kurzes Krächzen von mir. Meine Augen wanderten durch den Raum. Wäre ich Set-Designer beim Film und müsste ein Krankenzimmer für Privatpatienten entwerfen, es würde genauso aussehen. Weiße Wände. Möbel aus hellem Buchenholz. Optimistische Blumen. Zeichnungen von Kindern an den Wänden. Ein Fernseher und sandfarbene Lamellenvorhänge vor dem Fenster. Nicht zu

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