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In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

Titel: In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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Handbreit entfernt. Das ultimative Sergio-Leone-Close-Up. Mit unveränderter Eleganz stößt Patrice das Schwert in Sergejs Brustkorb, zieht es wieder heraus und lässt ihn lautlos zu Boden stürzen.
    Laura übertrifft alles, was ich bisher in meinem verplemperten Leben erlebt habe. Sie und Talitha tauschen eine Serie von Schlägen und Blöcken aus. Nur wenige Sekunden später ist in meinem Wohnzimmer kein Möbelstück mehr heil.
    Patrice rennt an Juri vorbei, der inzwischen auf dem Boden kniet, seine Hand gegen den Bauch presst, während dunkles Blut zwischen seinen Fingern rinnt. Sie verschwindet in der Küche. Ich höre sie dort herumkramen und Sachen durch die Gegend werfen. Wieso verstehe ich bei solchen Begegnungen immer am wenigsten? Ich sehe, wie Juri orientierungslos nach einer Pistole tastet. Ich sehe sie auf dem Teppich und greife schließlich nach ihr.
    Er blickt zu mir hoch und sagt mit seinem charakteristischen russischen Akzent: »Wirrr wollen dich nurrr gesund machen, Junge. Du brrrauchst Medikamente, nicht Pistole.«
    Plötzlich gelingt es Talitha den Arm von Laura zu greifen und ihn seltsam zu verdrehen, doch die Katze springt hoch, stößt sich mit den Füßen an der Kommode ab und beschreibt dadurch einen Salto rückwärts. Befreit aus dem Griff, tritt sie Talitha geradlinig in den Bauch. Diese fliegt rückwärts und gleitet mindestens vier Meter auf dem Parkett. Sie bleibt nur einen Schritt von meinen Füßen entfernt liegen. Sofort drückt sie sich vom Boden ab und springt wie von einer Stahlfeder angetrieben wieder hoch.
    »Ich muss langsam gehen, ihr Süßen«, ruft Laura und pustet die Luft aus ihren Lungen. Sie blickt auf ihre Armbanduhr und beginnt wie eine Kurzstreckenläuferin durch das Wohnzimmer zu rennen, hinaus zum Balkon. Im Laufen greift sie an ihren Gürtel, rollt ein dünnes Drahtseil aus, an dessen Ende ein Karabiner hängt, klickt ihn an eine der Stangen des Geländers und eine Sekunde später ist sie verschwunden.
    »Es ist nicht in der Küche«, höre ich Patrice rufen.
    Ich blicke schnell zu Talitha. Sie sieht mich an und scheint wieder einmal mehr zu verstehen als ich.
    »Raus, raus, raus!!!«
    Ich sehe wie Patrice ihre Schwertspitze Oberst Stahl an den Hals hält. Er atmet schwer und starrt sie wortlos an.
    »Warum war sie hier, Stahl?« sagt sie mit einer Stimme wie Eis. »Was wollte sie...?«
    Stahl gibt nur ein Röcheln von sich. In seinen Mundwinkeln bilden sich Blutbläschen.
    Talitha, the artist formerly known as Evelyn , schubst mich grob durch die Küche in Richtung Wohnungstür.
    »Schneller, Mann«, bellt sie. »Schnell! Wir sollten längst raus sein.«
    An der Wohnungstür holt uns Patrice ein.
    »Jetzt reichts!« Ich reiße mich los und stoße Talitha von mir. »WAS — GEHT — HIER — AB?!«
    Im nächsten Augenblick durchdringt mich das trockenste und zugleich lauteste Geräusch, das ich je zuvor gehört habe. Alles scheint in Bewegung zu sein. Mauerteile und Möbeltrümmer fliegen um mich herum. Alles ereignet sich gleichzeitig. Meine Kindheit, mein Leben, die letzten zwei Tage, die Gegenwart. Ich werde fortgerissen und lande in einer Wolke aus Kalk und Staub auf dem Boden.
    Dann ist es plötzlich still.
    Zählerableser. Ich fand die immer seltsam.
    Benommen öffne ich meine Augen. Ich liege auf dem Bauch und sehe meinen linken Arm, der in Blut getaucht ist. Die Wolke aus Staub setzt sich langsam. Ich kann mich nicht bewegen, und mein Gehirn fühlt sich wie Marmelade an. Meine Gedanken laufen in Zeitlupe ab und obwohl sich unter mir unbequeme Steintrümmer befinden, habe ich das Gefühl auf einem Wasserbett zu liegen. Ich bin ein verendender Körper, der nun genug hat.
    Doch WAS war denn gerade passiert?
    Ich höre plötzlich Stimmen. Sie klingen weit entfernt, und das ist seltsam, denn ich merke, dass die Personen, die zu diesen Stimmen gehören ganz nahe sind. Eine von ihnen befühlt sogar meinen Hals. Dann kehrt sie wieder zu der anderen zurück. Beide Frauen hocken nebeneinander auf dem Boden, gegen die Wand gelehnt, wie alte Freundinnen.
    »Was machst du hier?« fragt Patrice mit einer trockenen Stimme. Der Kalkstaub in ihren Haaren lässt die beiden Frauen wie Hexen erscheinen.
    »Sie haben mich vor zwei Wochen in Amsterdam erwischt.« Talitha hustet trocken den Staub aus ihren Lungen. »Ich habe Apythia gesagt, sie soll mich dorthin zurücksenden, wo einer von uns in Not ist.«
    »Das ergibt keinen Sinn. Außer ihm war niemand in Not...«
    Patrice

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