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In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
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mir g-gut«, lallte Clay.
    Es dauerte noch einige Sekunden länger, bis er endlich begriff, daß seine Müdigkeit nicht natürlichen Ursprungs war, sondern von einem Gas hervorgerufen wurde, das aus feinen Düsen fast unhörbar in die Fahrgastkapsel strömte.

2. Kapitel
     
     
    Und es ging ihm tatsächlich gut. Eine Welle aus Wohlbehagen gischtete durch seinen Leib, schwemmte Zweifel und Skepsis fort, erfüllte alles mit vibrierendem Vergnügen. Clay sank in die Polster der Fahrgastkapsel und lächelte, während seine Gedanken rasten.
    Tasche, dachte er. Der Kontakter in meinem rechten Ohrläppchen. Nur das Codewort, das den Koffer aktiviert. Nur zwei Silben, mehr nicht ...
    Der pfeilförmige Wagen sauste durch enge Korridore. Einmal ertönte draußen lauter Gesang, aber Clay hatte nicht die Kraft, sich vorzubeugen und hinauszusehen. Trommeln pochten, und andere Instrumente, deren Klang ihm nicht vertraut war, stimmten in den dumpfen Rhythmus ein. Dann, nur ein oder zwei Atemzüge später, war es wieder still.
    Der in die schwarze Kutte gekleidete Fahrer summte eine fröhliche Melodie und machte keine Anstalten, die Geschwindigkeit des Wagens herabzusetzen.
    »Es ist farblos, man riecht es nicht, und es hat eine hervorragende Wirkung«, freute sich der Lotse, und seine Stimme drang nun aus einem in Clays Kapsel verborgenen Lautsprecher. Ein leises Kichern schloß sich seinen Worten an. »Jeder Mensch muß atmen. Wenn man nicht atmet, stirbt man. Sie aber wollen gewiß leben, nicht wahr?«
    Der Lotse wandte den Kopf zur Seite, und Clay nahm für eine halbe Sekunde das eigenartige Funkeln in den Augen des Fremden wahr. Er hatte keine Pupillen. Seine Augen waren von einer Schicht winziger und in allen Farben des Spektrums schimmernder Kristallsplitter überzogen.
    Sie aber wollen gewiß leben, nicht wahr?
    Erinnerungsbilder wehten durch Clays zerfasernde Gedanken. Die Tiefstadt von Metrocago. Dämmerung. Zwielicht. Gestank. Langsamer Zerfall. Ein Kampf, der nie ein Ende fand, nicht einmal dann, wenn man ihn gewann. Eine immerwährende Schlacht, ein erbarmungsloser Krieg. Die Fabriken, die finsteren Gassen, die Schächte und Schluchten ...
    Tasche ...
    Nein, es war unmöglich. Die Wärme in seinen Lungen hatte längst jede einzelne Faser seines Körpers erfaßt, und seine Stimmbänder hätten ebenso zu einem anderen Leib gehören können.
    Leben. Ja.
    Es lag eine Ewigkeit zurück und war doch erst einige Jahre her.
    Beigeordneter Aufräumer. Clay schied aus einer Tiefstadtkolonne aus und trat in staatliche Dienste. Die Nacht war Tag, und der Tag war Dunkelheit. Barrikaden beiseite räumen, den Belagerungsring um Produktionsstätten brechen, Werbefeldzüge absichern. – »Benutzen Sie die Filter von Saubere-und-frische-Luft, und genießen Sie ein Aroma, von dem Sie bisher nichts ahnten ...«
    Leichen aus den Seitengassen und Unsicheren Fabriken entfernen. O nein, der Gestank hatte ihm nie etwas ausgemacht; daran gewöhnte man sich. Aber die Smog-Vulkane, die plötzlichen Verpuffungen in den Chemo-Betrieben der untersten Ebene Metrocagos, die vielen Opfer, die daran zugrunde gingen ...
    Und es konnte geschehen, daß eine Atemmaske im entscheidenden Augenblick ausfiel.
    Sie aber wollen gewiß leben, nicht wahr?
    Es gab eine bestimmte Atemtechnik, die in solchen Krisensituationen half. Wer sie nicht kannte, wer sie nicht erlernt hatte ... der erlag früher oder später den Verpuffungen, der konnte in eine Smogwolke geraten und elendig ersticken.
    Atmen, ja. Aber langsam, ganz langsam, und flach, ja, möglichst flach. Den Atemrhythmus verlangsamen, sich in sich selbst zurückziehen, in den Kosmos der eigenen Gedanken eintauchen, sich ablenken, Meditation, Autosuggestion ...
    Clay schloß die Augen, und der Lotse sang ein Lied, das die Vorzüge der Venus pries. Leise, sanft und zärtlich zischte das Betäubungsgas aus den Düsen. Und Clay dachte an die Frauenhorte von Hochstadt, in denen die Unverehelichten Damen so lange lebten, bis sie Eingang gefunden hatten in die Wohngemeinschaften der ehrbaren Bürger, der Diplomaten und Raketenverwalter, der Organisateure und Produktionsstättenüberwacher, der Werber und Lebensfreudesteigerer, Comptroller und Aufräumer. Bis sie die Aufgabe erfüllen konnten, auf die sie in den Horten ein ganzes Leben lang vorbereitet worden waren – die Verwaltung eines Haushalts, einer Wohnbastion von Hochstadt, und, wenn es sich um Damen mit entsprechendem Lieblichkeitsfaktor und Genreinheit

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