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In den Trümmern des Himmelsystems

Titel: In den Trümmern des Himmelsystems Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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brach er ab. „Erzählen Sie mir von Morningside, Kapitän. Erzählen Sie mir von Ihrem Volk und wie man dort die Dinge angeht. Unser Weg scheint Ihnen nicht besonders zuzusagen.“
    Sie überdachte die Worte, um hinter den Sinn dieses unerwarteten Themenwechsels zu kommen. Doch sie war sich nur sicher, daß er nicht wirklich eine Antwort haben wollte, sondern nur eine Ablenkung suchte.
Wie ich auch.
„Nein, er sagt mir wirklich nicht besonders zu, aber das ist Sache des Demarchy, es sei denn, es verstellt mir meinen Weg damit… Ich glaube, man könnte sagen, wir setzen unsere zwischenmenschlichen Beziehungen über alles – sowohl als Menschen und Freunde wie auch, ganz besonders, als Blutsverwandte. Sie wissen ja bereits von unserer Familieneinheit durch multiple Heirat.“ Sie sah auf, dann wieder weg. Er gab keinen Kommentar, doch sie konnte sein Unbehagen spüren. „Über allem steht unser ,Klan’ – nicht im technischen Sinn der Alten Welt, sieht man davon ab, daß die Zugehörigkeit einem sagt, wen man nicht heiraten kann – die Elternfamilie, Geschwister, die eigenen Kinder. Alle unsere Beziehungen erstrecken sich aber noch darüber hinaus… manchmal fast bis in die Unendlichkeit. Wir versuchen alle nach besten Kräften, uns gegenseitig umeinander zu kümmern. Fast jeder hat Verwandte irgendwo… es sei denn, eine Person, die nicht an der Arbeit teilhaben will, erkennt, daß nicht einmal ihre eigenen Verwandten mit ihr glücklich und zufrieden sind.
    Die einzige formale soziale Struktur über dem Klan ist das, was wir als ,Halbheit’ bezeichnen…“ Sie verlor sich im Klang ihrer eigenen Stimme, vergaß sogar Abdhiamals Anwesenheit. Die lebende Erinnerung ihrer Erklärung erfüllte den Raum zwischen ihnen mit Bildern und Reminiszenzen… Die Borealis-Halbheit: eine unabhängige ökonomische Einheit zur Verteilung von Gütern und Dienstleistungen. Die Borealis-Halbheit: ihre Heimat, ihre Arbeit, ihre Familie, ihre Welt… ein lachendes Kind – ihre Tochter, oder sie selbst – ließ sich zurückfallen, um auf einer Schneewehe ungelenke, staksige Spuren zu hinterlassen…
    „Unsere Industrie wird unabhängig geleitet, wie Ihre auch – aber ich nehme an, Sie würden sie trotzdem als ‚monopolistisch’ bezeichnen. Man arbeitet zusammen, aber nicht aus Profitgier, sondern weil man dazu gezwungen wird, sonst geht man unter. Das funktioniert, weil wir niemals von etwas zuviel haben – und das gilt besonders für Menschen. Meine Elternfamilie und viele meiner nächsten Verwandten betreiben eine Baumfarm in der Borealis-Halbheit… auch meine Frau Claire arbeitete dort. Manche Familien spezialisieren sich auf den Handel, aber Clewell und ich und unsere anderen Angehörigen waren von allem etwas…“ Sie erinnerte sich an das Ende des Tages in der endlosen Dämmerung, die Familie saß gemeinsam um den langen, dunklen Holztisch herum, während die Kinder ihnen das Essen brachten. Die behagliche Wärme des Feuers, die versinkende Sonne, die nie ganz vom Himmel verschwand, das belanglose Gerede über die kleinen Triumphe des Tages, die angenehme Schläfrigkeit… das herzliche Willkommen für einen Anverwandten, den seine Aufgabe Stunden oder Tage von zu Hause ferngehalten hatte. Eric, der von einer langen Unterredung mit der Halbheit zurückkehrte…
    Sie sah Wadie Abdhiamal, der im Kontrollraum der
Ranger
zurückgelehnt in seinem Sessel saß. Ein Verhandlungsführer…
Ich regle Streitigkeiten, arbeite Handelsverträge aus…
Abdhiamal betrachtete sie mit leicht verwirrter Miene. Sie schüttelte den Kopf.
    Hör auf damit.
Hör auf, einen Narren aus dir zu machen!
„Ich… ich habe fast vergessen: Wir haben auch einen Hohen Rat, eine Art Parlament, das sich aus den Ältesten der einzelnen Halbheiten zusammensetzt, die gewählt werden. Er regelt unseren spärlichen interplanetaren Handel und kümmert sich um Notfälle. Von ihm ging auch der Vorschlag zu unserer Reise nach Himmel aus. Aber er hat nicht viel mit unserem täglichen Leben zu tun…“
    „Dann seid ihr in gewisser Weise wie wir“, sagte Abdhiamal, „ohne starke, zentralisierte Regierung, Liebe zu Freiheit und Unabhängigkeit…“
    „Nein!“ Sie schüttelte den Kopf, eine Geste, mit der sie mehr als nur die Worte verneinte. „Wir sind wie eine Familie. Wir erledigen unsere Probleme durch Zusammenarbeit, nicht durch Rivalität wie im Demarchy. Euer System ist paradox: Das Individuum hat absolute und doch auch wieder überhaupt keine

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