In den Waeldern des Nordens - V3
den Rand der Bidarka streckte und mit dem einen Fuß im Boote, mit dem andern an Land stehenblieb. Wieder wand sich sein Hals und kämpfte, während er nach vergessenen Worten suchte. Und als die Worte kamen, war ihr Klang seltsam, und ein Sprudeln der Lippen begleitete die Kehllaute. »Seid gegrüßt, o Brüder«, sagte er, »Brüder aus alter Zeit, ehe der Festlandwind mich entführte.«
Er trat mit beiden Füßen auf den Strand, aber Opee-Kwan winkte ihn zurück.
»Du bist tot, Nam-Bok«, sagte er.
Nam-Bok lachte. »Ich bin dick.«
»Tote sind nicht dick«, räumte Opee-Kwan ein. »Es geht dir gut, aber es ist seltsam. Niemand kann sich mit dem Festlandwind paaren und nach Jahren zurückkehren.«
»Ich bin zurückgekehrt«, antwortete Nam-Bok einfach.
»Vielleicht bist du aber doch ein Schatten, ein Schatten, der kommt und geht, ein Schatten des Nam-Bok, der lebte. Schatten können wiederkehren.«
»Ich bin hungrig. Schatten essen nicht.«
Aber Opee-Kwan war unschlüssig und strich sich in trauriger Verwirrung mit der Hand über die Stirn. Nam-Bok war gleichfalls verwirrt. Er blickte auf und die Reihe entlang, fand aber kein Willkommen in den Augen der Fischer. Männer und Frauen flüsterten zusammen. Die Kinder zogen sich ängstlich zwischen die Erwachsenen zurück, und den Hunden sträubten sich die Haare, sie krochen zu ihm und beschnupperten ihn mißtrauisch.
»Ich gebar dich, Nam-Bok, und ich säugte dich, als du klein warst«, wimmerte Bask-Wah-Wan und kam näher, »und magst du nun ein Schatten sein oder nicht, so will ich dir doch zu essen geben.«
Nam-Bok machte eine Bewegung, als wollte er auf sie zutreten, aber ein furchtsames und drohendes Murren hielt ihn zurück. Er sagte etwas in einer fremden Sprache, das wie »den Teufel auch« klang, und fügte hinzu: »Kein Schatten bin ich, sondern ein Mensch.«
»Wer kann diese geheimnisvollen Dinge begreifen?« fragte Opee-Kwan halb bei sich, halb zu seinem Stamme gewandt. »Wir sind, und einen Atemzug später sind wir nicht mehr. Wenn ein Mensch zum Schatten werden kann, kann dann ein Schatten nicht auch zum Menschen werden? Nam-Bok war, aber er ist nicht. Das wissen wir, aber wir wissen nicht, ob dies Nam-Bok ist oder Nam-Boks Schatten.«
Nam-Bok räusperte sich und antwortete: »In alten, längst vergangenen Tagen zog deines Vaters Vater, Opee-Kwan, fort und kam erst nach Jahren wieder. Und ihm wurde nicht der Platz am Feuer verweigert. Man sagt...« Er machte eine bedeutungsvolle Pause, und sie lauschten. »Man sagt«, wiederholte er und betonte absichtlich das Folgende, »daß Sipsip, seine Klooch, ihm nach seiner Heimkehr zwei Söhne gebar.«
»Aber er hatte nichts mit dem Festlandwinde zu schaffen«, antwortete Opee-Kwan. »Er zog ins Herz des Landes, und es ist nur natürlich, daß der Mensch immer tiefer ins Land hineingehen kann.«
»Und ebenso auf dem Meere. Aber das hat nichts damit zu tun. Man sagt, daß deines Vater seltsame Geschichten von dem erzählte, was er gesehen hatte.«
»Ja, seltsame Geschichten erzählte er.«
»Ich habe auch seltsame Geschichten zu erzählen«, erklärte Nam-Bok einschmeichelnd. Und als sie wankten: »Und Geschenke habe ich auch.«
Aus der Bidarka nahm er einen Schal, wunderbar von Stoff und Farbe, und warf ihn seiner Mutter um die Schulter. Die Frauen stöhnten im Chor vor Bewunderung, und die alte Bask-Wah-Wan rollte den bunten Stoff zwischen den Fingern, streichelte ihn und sang leise in kindischer Freude.
»Er hat Geschichten zu erzählen«, murmelte Koogah.
»Und Geschenke«, half eine Frau ihm.
Und Opee-Kwan wußte, daß sein Volk eifrig war, und vor allem spürte er selbst eine kribbelnde Neugier nach diesen noch nicht erzählten Geschichten. »Der Fischfang ist gut gewesen«, sagte er einsichtsvoll. »Und wir haben Tran die Menge. Also komm, Nam-Bok, laß uns schmausen.«
Zwei Männer hoben die Bidarka auf ihre Schultern und trugen sie zum Feuer. Nam-Bok ging neben Opee-Kwan, und die Dorfbewohner folgten ihnen mit Ausnahme einiger Weiber, die einen Augenblick zögerten, um den Schal mit zärtlichen Fingern zu betasten.
Während des Schmauses wurde nicht viel gesprochen, obwohl viele neugierige Blicke auf Bask-Wah-Wans Sohn fielen. Das störte ihn zwar nicht aus Bescheidenheit, sondern weil der Gestank des Robbentrans ihm den Appetit geraubt hatte und er aufrichtig wünschte, seine Gefühle in dieser Beziehung zu verbergen.
»Iß, du bist hungrig«, gebot Opee-Kwan ihm, und Nam-Bok
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