In den Waeldern des Nordens - V3
Rates unumstößlich war. Daher ließ er sich an den Strand führen, wo man ihn in seine Bidarka setzte und ihm ein Paddelruder in die Hand gab.
Eine einsame Wildgans schrie draußen auf dem Meere, und die Brandung schlug lässig und hohl gegen den Sand. Eine trübe Dämmerung brütete über Land und Meer, und gegen Norden glühte schwach und unfreundlich, in blutrote Nebel gehüllt, die Sonne. Die Möwen flogen niedrig. Der Festlandwind wehte scharf und kalt, und die schwarzen Wolkenmassen im Hintergrunde versprachen schlechtes Wetter.
»Vom Meere kamst du«, sang Opee-Kwan orakelhaft, »und zum Meere gehst du. So ist alles ausgeglichen und dem Gesetz Genüge getan.«
Bask-Wah-Wan humpelte an den Schaumrand und rief: »Ich segne dich, Nam-Bok, weil du an mich dachtest.«
Aber Koogah schob Nam-Bok vom Strande ab, riß ihr den Schal von der Schulter und warf ihn in die Bidarka.
»Es ist kalt in den langen Nächten«, jammerte sie, »und der Frost beißt in alte Knochen.«
»Das Ding ist ein Schatten«, antwortete der Beinschnitzer, »und Schatten können dich nicht erwärmen.«
Nam-Bok erhob sich, damit man seine Stimme an Land hören konnte.
»Oh, Bask-Wah-Wan, Mutter, die mich gebar!« rief er. »Lausche den Worten deines Sohnes Nam-Bok. Seine Bidarka hat Platz für zwei, und er will dich gern mitnehmen. Denn er reist dorthin, wo es voll ist von Fischen und Tran. Dorthin kommt der Frost nicht, dort ist das Leben bequem, und Eisendinge tun die Arbeit der Menschen. Willst du mitkommen, o Bask-Wah-Wan?«
Sie zögerte einen Augenblick, während die Bidarka schnell abtrieb, und erhob dann ihre Stimme in zitterndem Diskant: »Ich bin alt, Nam-Bok, und muß bald zu den Schatten gehen. Aber ich möchte nicht gehen, ehe meine Zeit gekommen ist. Ich bin alt, Nam-Bok, und ich fürchte mich.«
Ein Lichtstrahl schoß über das schwach beleuchtete Meer und warf auf das Boot und den Mann einen rotgoldenen Glanz.
Es ward still unter den Fischern, und man hörte nichts mehr als das Stöhnen des Festlandwindes und die Schreie der niedrig fliegenden Möwen.
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Der Herr des Geheimnisses
Es herrschte Jammer im Dorfe. Die Frauen riefen mit schrillen, hohen Stimmen durcheinander. Die Männer sahen finster und unschlüssig drein, und selbst die Hunde streiften unsicher umher, erschrocken über die Unruhe im Lager und bereit, sich beim ersten Ausbruch von Unruhen in die Wälder zurückzuziehen. Die Luft war schwül von Mißtrauen. Kein Mensch war seines Nachbarn sicher, und jeder war sich bewußt, daß seine Kameraden ihm gegenüber ebenso unsicher waren. Selbst die Kinder befanden sich in gedrückter und feierlicher Stimmung, und der kleine Di Ya, die Ursache von allem, hatte erst von seiner Mutter Hooniah, dann von seinem Vater Bawn eine tüchtige Tracht Prügel bekommen und wimmerte nun und betrachtete die Welt vorwurfsvoll im Schutze der großen umgestürzten Kanus am Strande.
Und um es gar noch schlimmer zu machen, war Scundoo, der Schamane, in Ungnade gefallen, und man konnte nun seinen Zauber nicht in Anspruch nehmen, um den Missetäter zu finden. Hatte doch Scundoo vor einem Monat guten Südwind versprochen, daß der Stamm nach dem Potlatch in Tonkin reisen konnte, wo Taku Jim auszugeben gedachte, was er sich seit zwanzig Jahren erspart hatte. Und als der Tag kam, wehte ein scharfer Nordwind, und von den drei ersten Kanus, die sich hinauswagten, wurde eins von der schweren See vollgeschlagen und die beiden andern auf den Klippen zerschmettert, wobei ein Kind ertrank. Er hätte versehentlich den falschen Sack geöffnet, erklärte er. Aber die Leute wollten ihm kein Gehör schenken; die Opfer von Fleisch, Fisch und Fellen fanden nicht mehr den Weg zu seiner Tür, und nun saß er drinnen und schmollte und tat bittere Buße beim Fasten, wie sie glaubten; in Wirklichkeit aß er gründlich von seinen reichen Vorräten und grübelte über den Wankelmut der Menge.
Hooniahs Decken waren verschwunden. Es waren gute Decken, wunderbar dick und warm, und Hooniahs Stolz auf sie wurde noch dadurch erhöht, daß sie so billig zu ihnen gekommen war. Ty-Kwan aus dem Nachbardorfe war ein Narr, daß er sie so preiswert abgelassen hatte. Aber sie wußte allerdings nicht, daß sie aus dem Besitz des ermordeten Engländers stammten, wegen dessen Verschwinden der Kutter der Vereinigten Staaten lange Zeit die Küste entlang geschnüffelt hatte, während Jollen die geheimen Einläufe durchschnauften und durchfauchten. Und da sie nicht
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